Saarbruecker Zeitung

Mechelen zeigt der Welt, wie Multikulti geht

Die belgische Stadt war mal ganz unten, kriminell, dreckig. Ihr Bürgermeis­ter Bart Somers richtete sie wieder auf – auch mit Härte.

- VON TOM NEBE

(dpa) Mechelen, eine beschaulic­he belgische Stadt auf halber Strecke zwischen Brüssel und Antwerpen. Enge Gassen, Häuser aus Ziegelstei­nen, die sich aneinander drängen, über dem Marktplatz thront der mächtige Turm der St.-Rombouts-Kathedrale. Bekannt ist Mechelen aber nicht für hübsche Fassaden. Die Stadt mit knapp 86 000 Einwohnern, mit 138 Nationalit­äten und rund 20 Prozent Muslimen gilt als Modell gelungener Integratio­nspolitik, und die wird vor allem einem zugute gehalten: Bürgermeis­ter Bart Somers.

Vor einem Jahr wählte ihn die Denkfabrik City Mayors Foundation zum Weltbürger­meister. „Er hat eine kaum beachtete Stadt in eine der begehrtest­en Orte von Belgien verwandelt“, hieß es in der Begründung. Wochen später diskutiert­e Somers bei den Vereinten Nationen in New York über Migration. Nun ist sein Buch „Zusammenle­ben“auf deutsch erschienen. Wie gelingt ein friedliche­s Miteinande­r verschiede­ner Kulturen in einer Stadt? Das treibt auch deutsche Stadtoberh­äupter in Duisburg oder Berlin, in Frankfurt oder Cottbus um.

Somers empfängt in seinem Büro im Rathaus von Mechelen, wo er seit 17 Jahren die Geschäfte führt. Als er 2001 Bürgermeis­ter wurde, war Mechelen eine dreckige, unsichere Stadt. „Die Leute nannten Mechelen das Chicago am Fluss Dijle“, erzählt der 53-Jährige. Die Kriminalit­ätsrate war hoch, die Mittelschi­cht zog weg, jedes dritte Geschäft stand leer, rund ein Drittel der Bürger wählte rechts. Eine Stadt am Boden. Und dann?

Recht und Ordnung, damit fing es an. Man habe die Stadt sicher und sauber gemacht, vor allem in ärmeren Gegenden. „Mehr Parks und mehr Polizei in den Straßen“, sagt Somers. Heute sind in der ganzen Stadt verteilt 250 Sicherheit­skameras, kaum irgendwo im Zentrum liegt Müll, die Kriminalit­ätsrate ist stark gesunken, die Wirtschaft läuft, nur noch acht Prozent haben bei der vergangene­n Wahl rechts gewählt.

Am Anfang galt Somers, Mitglied der Flämische Liberalen und Demokraten (Open VLD), wegen seiner Bemühungen für Polizei und Sicherheit vielen als rechter Hardliner. „Viele definieren so eine Politik als anti-migrantisc­h“, weiß Somers. „Das ist ein schlimmer Irrtum.“Menschen mit Migrations­hintergrun­d in ärmeren Gegenden seien oft die ersten Opfer der Kriminalit­ät. „Sie sind die ersten, die Sicherheit wollen.“Nur dürften sie sich nicht stigmatisi­ert fühlen.

Alle Menschen in seiner Stadt seien gleichbere­chtigte Bürger. Und als solche sollten sie angesproch­en werden, bekräftigt der Bürgermeis­ter. „Wenn es Probleme mit einem Jungen mit islamische­m Hintergrun­d gibt, dann gehen wir nicht zum Imam.“Sondern zu ihm, zu seinen Eltern. „Man redet mit ihnen als Bürger.“

Fühlen sich die Menschen wohl und sicher, haben sie auch weniger Angst vor Fremden – so sieht es Somers. „Wenn wir miteinande­r spielen, Sport treiben, die Schulbank drücken und im Job zusammenar­beiten, werden die Unterschie­de verschwind­en“, schreibt er in seinem Buch.

Ganz leicht fällt die Überzeugun­gsarbeit allerdings auch in Mechelen nicht. So versucht die Stadt, flämische Familien zu bewegen, ihre Kinder auf normale Stadtteils­chulen zu schicken, auch wenn dort viele Kinder mit Migrations­hintergrun­d sind. Somers kennt die Skepsis: „Sogar progressiv­e Eltern sagen: ‚Unser Kind ist kein soziales Experiment.’“150 bis 200 Familien jedoch habe man schon überzeugt.

Somers sagt: „Es braucht Zeit, ein Klima zu erzeugen, in dem die Leute zusammenle­ben wollen.“Irgendwann sei der Punkt gekommen, an dem die Menschen stolz auf ihr „diverses Mechelen“waren. „Fünf bis zehn Jahre dauert es, um wirklich einen Umbruch zu erreichen.“Und Somers stellt klar: Mechelen sei kein Paradies, es gebe immer noch Segregatio­n und Kriminalit­ät. Aber er bleibt dran.

Der Lokalpolit­iker hat gute Chancen, im Herbst zum vierten Mal als Bürgermeis­ter gewählt zu werden. Inzwischen gilt er nicht mehr als Hardliner, sondern als „Flowerpowe­r-Politiker“, der immer von Inklusion und Gleichheit redet. Die Wahrheit liegt vielleicht dazwischen.

Was können deutsche Städte wie Cottbus von Mechelen lernen? Aus Somers‘ Sicht braucht es Anstrengun­gen von allen Seiten. „Klar ist, wir werden nur erfolgreic­h sein, wenn wir nicht wegschauen.“Migranten müssten die Sprache lernen und auch, wie die Gesellscha­ft funktionie­rt, in der sie leben wollen.

Als Mechelen 250 Flüchtling­e freiwillig aufnahm, wurde jedem ein Bürger der Stadt als Pate zur Seite gestellt. Es ging darum, dass die Neuankömml­inge nicht isoliert bleiben. Sie konnten laut Somers die neue Sprache üben, lernten die Stadt und die gesellscha­ftlichen Werte kennen. Die Paten halfen ihnen bei der Joboder Wohnungssu­che. Freundscha­ften entstanden, Vorbehalte schwanden. So erzählt es Somers. Und sieht die Flüchtling­e als Gewinn für die Stadt. „Ich muss mich bei ihnen bedanken, weil sie uns die Möglichkei­t gegeben haben, unsere irrational­en Ängste zu bekämpfen“, sagt der Bürgermeis­ter.

Werte. Als das Gespräch darauf kommt, wird die Stimme von Bart Somers immer lauter, er gestikulie­rt. Es ist ein Thema, das ihm am Herzen liegt. Ohne bestimmte Grundwerte könne eine diverse Gesellscha­ft nicht funktionie­ren, stellt er klar. Er zählt auf: die Meinungsfr­eiheit, die Gleichstel­lung von Frau und Mann, staatliche Gesetze anstelle von religiösen.

Doch es muss auch Raum für Veränderun­gen geben. „Wer aus jeder Tradition einen fundamenta­len Wert macht, zerstört die Freiheit von unserer Gesellscha­ft und damit ihren zentralste­n Wert“, ruft Somers aus. In seinem Buch beschreibt er ein Beispiel: Ein Teil des Friedhofs der Stadt wurde für islamische Bestattung­en bereit gestellt. Die Debatte davor sei heftig gewesen. Doch „Mecheler Muslime können nun als vollwertig­e Bürger (...) bestattet werden, sodass auch im Tod ein gemeinsame­s Wir-Gefühl entsteht.“

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Früher ein Albtraum, heute ein Idyll: die Stadt Mechelen. Hier ein Blick auf den „Grote Markt“und die berühmte Kathedrale mit dem Sint-Rombouts-Turm.
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Er setzte auf Law-and-Order und Offenheit: Der „Weltbürger­meister“Bart Somers in seinem Büro.
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FOTOS (3): NEBE/DPA In ganz Mechelen hängen an öffentlich­en Plätzen heute allein 250 Sicherheit­skameras.

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