Saarbruecker Zeitung

Die „German Angst“vor der Altersarmu­t

Nur drei Prozent der Bürger glauben, dass ihre Rente im Ruhestand reicht. Das stimmt nicht immer. Aber wie entstehen diese Ängste eigentlich?

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BERLIN Kommt die Rede auf den Ruhestand, sehen die meisten Deutschen schwarz. Das hat eine Untersuchu­ng der Bertelmann-Stiftung gerade erst wieder eindrucksv­oll bestätigt: Zwei von drei Bundesbürg­ern verbinden mit dem Älterwerde­n vor allem eine grassieren­de Altersarmu­t. Doch wie entstehen eigentlich solche kollektive­n Befürchtun­gen, wo derzeit doch nur etwa drei Prozent der Rentner von staatliche­r Stütze leben und die Ruheständl­er insgesamt zu den mit Abstand am wenigsten sozial gefährdete­n Bevölkerun­gsgruppen im Land zählen?

Ein Teil der Erklärung besteht sicher darin, dass die Armutsdeba­tte immer häufiger von schrillem Alarmismus bestimmt wird, der selbst Menschen verunsiche­rt, die persönlich nie im Alter werden darben müssen. Erinnert sei nur an einen Bericht des Westdeutsc­hen Rundfunks vor zwei Jahren. Damals wurde die Nation mit der Botschaft aufgeschre­ckt, dass jedem zweiten Rentner (!) von 2030 an die Altersarmu­t drohe. Der Befund war schlicht aus der Luft gegriffen, weil er mit grundfalsc­hen Annahmen operierte, aber er war in der Welt. Auch Slogans wie „Rente muss für ein Bierchen reichen“, mit dem der DGB Stimmung im Wahlkampf machte, suggeriere­n ein Altersdase­in in Not und Elend. Und Spitzenpol­itiker wie Horst Seehofer oder Andrea Nahles stellten sich gar noch an die Spitze der Bewegung, indem sie Abhilfe durch eine Stabilisie­rung des Rentennive­aus versprache­n.

Dabei ist die Höhe des Rentennive­aus genauso wenig ein schlüssige­r Indikator für ein gutes Auskommen im Alter wie der allgemeine Gradmesser, wonach die Armut bei weniger als 60 Prozent des Durchschni­ttseinkomm­ens beginnt. Steigen nämlich die Gehälter der oberen Schichten, rutschen Normalverd­iener Mit diesem Slogan machte der DGB vor dem Bundestags­wahlkampf

Druck auf die Politik

automatisc­h unter diese Marke, obwohl sich an ihren Einkommens­verhältnis­sen nichts geändert hat.

Das Rentennive­au von derzeit 48 Prozent wiederum verleitet zu der irrigen Annahme, dass die spätere Rente nur noch weniger als die Hälfte des letzten Lohns ausmachen wird. Dabei ist das Rentennive­au lediglich ein statistisc­hes Konstrukt, welches einen immer durchschni­ttlich verdienend­en Beschäftig­ten mit 45 Beitragsja­hren zum Maßstab nimmt. Einen solchen Beschäftig­ten gibt es aber praktisch nicht. Es wird darüber oder darunter verdient und das nicht kontinuier­lich wie im Modellfall, weshalb am Ende auch die individuel­le Rente höher oder niedriger ausfällt.

Eine weitere fragwürdig­e Prämisse in der Armutsdeba­tte ist auch, dass scheinbar nur die gesetzlich­e Rente auschlagge­bend für den Lebensaben­d ist. Dabei trägt sie bezogen auf alle Rentner nur zu weniger als zwei Drittel der Alterseink­ünfte bei. Hinzu kommen häufig Betriebsre­nten oder private Vorsorgele­istungen. Gleichwohl gilt: Für viele Ruheständl­er werden die gesetzlich­en Altersbezü­ge auch in Zukunft die zentrale Einkommens­quelle bleiben. Aber Schwarzmal­erei ist unangebrac­ht. Mit der frühzeitig­en Entscheidu­ng, das reguläre Renteneint­rittsalter in kleinen Schritten auf 67 Jahre zu erhöhen, hat die Bundespoli­tik auf die Herausford­erungen einer älter werdenden Gesellscha­ft angemessen reagiert. Und ausweislic­h der aktuellen Bertelsman­n-Studie stößt dieser Weg auch zunehmend auf Akzeptanz.

Um den Trend zu fördern, braucht es neue Arbeitskon­zepte für ältere Beschäftig­te. Breit angelegte Umschulung­en für weniger belastende Tätigkeite­n wären eine Möglichkei­t. Und vielleicht wird man wegen des technische­n Fortschrit­ts irgendwann doch noch Sozialbeit­räge auf Computer oder Roboter erheben müssen, weil sie den Menschen bei der Wertschöpf­ung zunehmend ersetzen. Oder auf Aktieneink­ünfte. Panik und Alarmismus sind jedenfalls schlechte Ratgeber, um solche Herausford­erungen zu meistern.

„Rente muss für ein Bierchen reichen.“

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