Saarbruecker Zeitung

Kästner und Tucholsky einmal anders

- Produktion dieser Seite: Alexander Stallmann, Jörg Wingertsza­hn, Markus Saeftel, Alexander Mandersche­id

SAARBRÜCKE­N (sbu) Als Saxofonist, Komponist und Arrangeur zählt Wollie Kaiser zu den renommiert­esten und kreativste­n Jazzern Deutschlan­ds. In seinem Projekt „Songs vom falschen Ende der Stadt“zeigt sich der Wahl-Saarbrücke­r jetzt von einer ganz neuen Seite: als Interpret von Gedicht-Klassikern von Erich Mühsam bis Tucholsky, die er selbst vertont hat, und zu denen er Gitarre spielt.

Der Musiker bekennt sich damit zu alten Leidenscha­ften. Er bewundere Songschrei­ber wie Paul McCartney, Sting und die Bee Gees, hege die Idee, Texte zu vertonen, schon seit 30 Jahren, sagt er. Auch für die Gitarre hat er sich schon immer begeistert. „Sie war ursprüngli­ch mein erstes Instrument, aber ich bin kläglich gescheiter­t“, findet er. Doch jetzt, im Alter von 67, fand er den Mut zum Wagnis, nur seiner Passion nachzugehe­n. Es hat sich gelohnt, wie sich beim Konzert im Buchladen Försterstr­aße im Saarbrücke­r Nauwieserv­iertel zeigte.

Wie viele Sänger haben sich nicht schon an den Gedichten von Tucholsky, Kästner, Mühsam und Ringelnatz versucht, als Chansonnie­rs zu Klavier oder auch im Liedermach­erstil mit folkigen Arrangemen­ts. Doch selten klangen diese mit viel Humor, Ironie und Sarkasmus gewürzten Texte über (scheiternd­e) Liebesbezi­ehungen oder Obdachlose so zeitgenöss­isch. Was weniger daran liegt, dass Wollie Kaiser sie sprachlich ein wenig „auffrischt“, sondern dass er sie rockt. Mit Marius Buck am Schlagzeug und Matze Hoffmann am E-Bass und Endi Casper an der Gitarre hat sich Kaiser drei hervorrage­nde junge Mitstreite­r dazu geholt, die nicht nur im Jazz zu Hause sind. In Kaisers Rock-Arrangemen­ts darf Casper die Gitarre virtuos jaulen lassen, Hoffmann auch mal den Bass funkig vorschiebe­n, Buck ein Solo einschiebe­n – und das passt wunderbar zu den alten Dichtern. Kaisers kratzig-raue Stimme hat zwar nicht viel Volumen, doch er weiß sie ausdruckss­tark einzusetze­n.

Kaisers Projekt verschafft aber noch eine zweite Entdeckung: die des Dichters Dieter A. Steinmann. Er schrieb die „Lieder vom falschen Ende“, melancholi­sche Großstadtg­edichte, die die Wollie Kaiser den Anstoß zu seinem Projekt gaben. Steinmann, der nach einem bewegten Leben, das ihn von Merchweile­r über Berlin und München wieder nach Saarbrücke­n führte, arbeitet heute als Redakteur beim Saaramateu­r. Geschriebe­n habe er schon immer, auch Erzählunge­n und Romane, sagt er. Doch kein Saar-Verlag habe sie bisher haben wollen. Den titelgeben­den Gedichtban­d hat er daher als Book on demand selbst herausgebr­acht. Für den Folge-Band interessie­re sich der Maro-Verlag, erzählt Steinmann. Von Wollie Kaisers Vertonunge­n ist er begeistert. „Ich habe sie schon dreimal gehört, und jedes Mal klang es anders“, sagt er. Dass sich seine Texte so gut vertonen lassen, ist kein Zufall. Er singe sich die Texte beim Schreiben vor, erklärt Steinmann. Und habe nebenbei auch Schlagerun­d Volksmusik-Texte geschriebe­n. Mit mehr Erfolg: „Das kleine Dorf meiner Kindheit“hätten die „Scheunenmu­sikanten“sieben Wochen in den SR3-Charts gehalten, verrät er und verhehlt nicht, wofür sein Herz mehr schlägt. „Ich bin ja schon rot geworden, als ich hörte, mit welchen Leuten ich hier bei Wollie in eine Reihe gestellt worden bin.“

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