Saarbruecker Zeitung

Der rechte Front National gibt sich neuen Anstrich

Kardinal Karl Lehmann ist gestern gestorben. Er stand für ein weltoffene­s Christentu­m. Mit Rom geriet der langjährig­e Mainzer Bischof einige Male in Streit.

- VON PETER DE GROOT, NORBERT DEMUTH UND KARSTEN PACKEISER

Der Front National heißt jetzt Rassemblem­ent National. Die Vorsitzend­e Marine Le Pen deutete auf dem Parteitag der französisc­hen Rechten auch einen Kurswechse­l an.

(kna/epd) Er hat – „gelegen oder ungelegen“seine begründete Meinung gesagt und hat – „so gut es als Mensch geht“– geradlinig und sachlich seine Arbeit gemacht: Kardinal Karl Lehmann. Gestern am frühen Morgen ist er im Alter von 81 Jahren in Mainz gestorben.

Lehmann, der langjährig­e Bischof von Mainz und Vorsitzend­e der katholisch­en Deutschen Bischofsko­nferenz, war in Zeiten, als „Rom“in der deutschen Öffentlich­keit als Hort des konservati­ven Dogmatismu­s galt, der Name für ein weltoffene­s, lebensbeja­hendes Christentu­m. Fast 33 Jahre stand Lehmann an der Spitze des Bistums Mainz. Als er das Amt 1983 übernahm, war er mit 47 Jahren der damals jüngste katholisch­e Bischof in Deutschlan­d. 2016 trat er aus Altersgrün­den zurück.

In seiner Wahlheimat Mainz entwickelt­e Lehmann Qualitäten eines Volkstribu­ns, dem auch Nichtkatho­liken mit großer Sympathie begegneten: Man konnte den Bischof mit Fan-Schal im Fußballsta­dion treffen oder bei der Mainzer Fastnacht. Gleichzeit­ig blieb der Sohn eines Volksschul­lehrers immer voller Leidenscha­ft der wissenscha­ftlichen Theologie verbunden. Seine riesige Privatbibl­iothek ist legendär, seine kolossale Veröffentl­ichungslis­te umfasst über 4200 gedruckte Texte. Wenn er alte Weggefährt­en aus Hochschulz­eiten traf, mit denen er diskutiere­n konnte, wirkte Lehmann besonders glücklich.

Für Lehmann galt, dass die Treue zum Glauben und die Treue zu den Menschen zusammenge­hören und sich Glaube und Vernunft nicht ausschließ­en. „Der Glaube ist ein Gehorsam, der wenigstens potenziell mit der menschlich­en Vernunft übereinsti­mmen muss“, sagte er.

Konservati­ve Kritiker warfen ihm schon mal vor, die katholisch­e Kirche in Deutschlan­d zu einer „Lehmann-Kirche“zu machen, die sich ohne Not dem Zeitgeist anpasse. Bei seinen Bewunderer­n dagegen erwarb Lehmann sich den Ruf, ein „Glücksfall für die deutschen Katholiken“zu sein, ein „Brückenbau­er“, ein „Mann des Dialogs“.

Immer wieder mahnte er Reformen in seiner Kirche an und kritisiert­e politische Entwicklun­gen, die ihm Sorge bereiteten. Zuletzt warf er einigen Ländern der EU, insbesonde­re den osteuropäi­schen, mangelnde Solidaritä­t in der Flüchtling­sfrage vor und ließ seine Abneigung gegenüber der AfD erkennen.

Deutlich machte der Kardinal auch, dass er nichts von „Riesengeme­inden XXL“in seiner Kirche hielt, dass es ein Ständiges Diakonat der Frau geben sollte, eine Priesterwe­ihe von in Ehe und Beruf bewährten Männern (viri probati), eine engere Zusammenar­beit von Priestern und Laien – und dass er auf Papst Franziskus baute. „Die Starrköpfe sitzen an verschiede­nen Stellen, und man kann nur hoffen, dass der Papst lange lebt und gesundblei­bt“, ließ sich Lehmann vernehmen. Für sein Selbstvers­tändnis von besonderer Bedeutung war das Zweite Vatikanisc­he Konzil (1962-1965). „Ich identifizi­ere mich mit meiner ganzen priesterli­chen Existenz und in der Ausrichtun­g meines Dienstes daran. Ich könnte mich gar nicht denken ohne das Konzil“, sagte Lehmann.

Als Lehmann Anfang 2001 doch noch von Papst Johannes Paul II. zum Kardinal erhoben wurde, galt dies als eine Sensation. Schließlic­h hatte es in den Jahren zuvor Meinungsve­rschiedenh­eiten mit Rom gegeben, nicht zuletzt in Sachen Schwangere­nkonfliktb­eratung und in der Frage nach einer Zulassung zivil wiederverh­eirateter geschieden­er Katholiken zur Kommunion. Übersehen worden war da von vielen – aber eben nicht von Johannes Paul II. – Lehmanns unverbrüch­liche Loyalität zu Papst und Kirche.

Als Mitglied des Kardinalsk­ollegiums nahm Lehmann am Konklave im April 2005 teil, bei dem Papst Benedikt XVI. gewählt wurde. Damals hegte er große Sympathien für den argentinis­chen Kandidaten Jorge Mario Bergoglio. Und als der 2013 als Papst Franziskus zu Benedikts Nachfolger gewählt wurde, erhielt er sicher auch Lehmanns Stimme.

Franziskus, lobte Lehmann später, lasse alle Diskussion­en zu und wage neue Ansätze. Für den Kardinal war es nicht zuletzt von großer Bedeutung, dass der Papst mit seinem Schreiben „Amoris laetitia“(Freude der Liebe) hinsichtli­ch des seelsorger­ischen Umgangs mit wiederverh­eirateten Geschieden­en etwas aufgriff, wofür sich Lehmann 1936 in Sigmaringe­n geboren, studierte Karl Lehmann in Freiburg und Rom Philosophi­e und Theologie. 1963 empfing er die Priesterwe­ihe. Von 1962 bis 1965 nahm er als Mitarbeite­r des Theologen

Karl Rahner am Zweiten Vatikanisc­hen Konzil teil. Ab 1968 unterricht­ete über Jahrzehnte eingesetzt hatte. Für einen Umgang nämlich, der unterschie­dlichen Lebenssitu­ationen Rechnung trägt. Wie sagte Lehmann immer wieder? Das Wichtigste sei „kämpfen, nicht aufgeben“.

Seit September 2017 kämpfte Lehmann mit den Folgen eines Schlaganfa­lls und einer Hirnblutun­g. Am vergangene­n Montag war sein Gesundheit­szustand so „kritisch“, dass Bischof Kohlgraf zum Gebet für Lehmann aufrief – für „das letzte Stück seiner irdischen Pilgerreis­e“. er als Theologiep­rofessor an den Universitä­ten Mainz und Freiburg, bis er 1983 von Papst Johannes Paul II. zum Bischof von Mainz ernannt wurde. Von 1987 bis 2008 war er Vorsitzend­er der Deutschen Bischofsko­nferenz. 2001 verlieh der Papst dem Mainzer Bischof die Kardinalsw­ürde. 2016 trat Lehmann an seinem 80. Geburtstag altersbedi­ngt vom Bischofsam­t zurück.

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FOTO: ENDERLEIN/IMAGO An seinem 80. Geburtstag gab der langjährig­e Mainzer Bischof Kardinal Karl Lehmann sein Amt ab und verabschie­dete sich von den Gläubigen.

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