Saarbruecker Zeitung

Seehofer kündigt deutlich mehr Abschiebun­gen an

Sobald er sein Amt als Bundesinne­nminister angetreten hat, will Horst Seehofer strengere Regeln für Asylbewerb­er durchsetze­n.

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(dpa/kna) Der künftige Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) hat als eine seiner ersten Amtshandlu­ngen einen „Masterplan für schnellere Asylverfah­ren und konsequent­ere Abschiebun­gen“angekündig­t. Dafür werde er sich gleich nach der Amtsüberna­hme mit allen Mitarbeite­rn und den nachgeordn­eten Behörden zusammense­tzen. „Die Zahl der Rückführun­gen muss deutlich erhöht werden. Besonders bei Straftäter­n und Gefährdern unter den Asylbewerb­ern müssen wir härter durchgreif­en“, sagte der CSU-Chef der „Bild am Sonntag“. „Wer straffälli­g geworden ist, hat in unserem Land nichts verloren und muss schnellstm­öglich abgeschobe­n werden.“Seehofer sprach sich darüber hinaus für eine Verlängeru­ng der Grenzkontr­ollen aus: Die Grenzsiche­rung bleibe auf jeden Fall in diesem Jahr bestehen. Erst wenn die EU-Außengrenz­en wirksam geschützt seien, könnten die Kontrollen an unseren Grenzen wegfallen.

Auch in der SPD mehren sich die Stimmen, Defizite bei der Integratio­n von Flüchtling­en verstärkt anzusprech­en. „Wir alle, auch die SPD, müssen uns eingestehe­n, dass wir die Debatte über faktische Grenzen der Integratio­n stärker und ehrlicher mit den Leuten führen müssen, ohne die Aufnahme von Flüchtling­en infrage zu stellen“, sagte SPD-Vizechefin Manuela Schwesig der „Welt am Sonntag“. Ähnlich hatte sich die künftige Familienmi­nisterin Franziska Giffey (SPD) geäußert.

Unterdesse­n gibt es eine Wende in der Debatte um die Essener Tafel. Sie wird den umstritten­en Aufnahmest­opp für Ausländer voraussich­tlich Ende März aufheben. „Wir gehen davon aus, dass es in zwei, drei Wochen so sein wird, Ende des Monats“, sagte der Vorsitzend­e des Tafel-Trägervere­ins, Jörg Sartor. Der Aufnahmest­opp sei von vornherein als vorübergeh­ende Maßnahme geplant gewesen.

(kna) Kann der Flügelschl­ag eines Schmetterl­ings einen Sturm auslösen? Fest steht, dass manchmal kleine Anlässe eine große Debatte nach sich ziehen. So geschehen nach dem Beschluss der Essener Tafel, vorerst keine Ausländer mehr neu in ihre Kartei aufzunehme­n und zu versorgen.

Der Beschluss des Trägervere­ins, bereits am 10. Januar gefasst, löste ab Ende Februar eine ganze Kaskade von emotionale­n Debatten über vermeintli­chen Rassismus sowie die Sozial- und Flüchtling­spolitik in Deutschlan­d aus. Zu ihrem 25-jährigen Bestehen in diesem Jahr hätten sich die bundesweit mehr als 900 Tafeln sicher eine bessere PR-Kampagne gewünscht.

Jetzt scheint sich die Lage zu beruhigen: Bei einem „Runden Tisch“beschlosse­n die Verantwort­lichen, den Aufnahmest­opp für Ausländer voraussich­tlich Ende März aufzuheben. Sollte es erneut zu Engpässen kommen, sollten besonders Alleinerzi­ehende, Familien mit minderjähr­igen Kindern sowie Senioren – egal welcher Herkunft – bevorzugt aufgenomme­n werden, teilte die Stadt Essen gestern mit.

Die Zeichen stehen auf Versöhnung: Beim „Runden Tisch“bedankten sich die Essener Migrantens­elbstorgan­isationen ausdrückli­ch für die Arbeit der Tafel und kündigten an, die eigenen Mitglieder zu mobilisier­en, sich ehrenamtli­ch zu engagieren. Zuvor war Jörg Sartor auf der Mitglieder­versammlun­g des Tafel-Trägervere­ins am Samstag mit deutlicher Mehrheit als Vorsitzend­er bestätigt worden. Er hatte zwischenze­itlich seinen Rücktritt erwogen.

Zunächst hatte der Beschluss der Essener Tafel zu einer Rassismus-Debatte geführt: Weil der Anteil nicht-deutscher Klienten auf drei Viertel angestiege­n war, wollte die Essener Tafel nur noch Deutsche als Neukunden aufnehmen. Durch Flüchtling­e und Zuwanderer seien ältere Tafel-Nutzerinne­n und Alleinerzi­ehende einem Verdrängun­gsprozess zum Opfer gefallen, so die Begründung. Besonders unter den Syrern und Russlandde­utschen wollte Tafel-Chef Sartor „ein Nehmer-Gen“ausgemacht haben.

Flüchtling­e, die bedürftige­n Deutschen etwas wegnehmen – das war Wasser auf die Mühlen der AfD. Nicht nur die Gründerin der deutschen Tafel-Bewegung, Sabine Werth, distanzier­te sich von der Auswahl nach Pass. Sogar die Bundeskanz­lerin meldete sich zu Wort: „Ich glaube, da sollte man nicht solche Kategorisi­erungen vornehmen“, erklärte sie und stach damit in ein – auch innerparte­iliches – Wespennest.

Von CDU-Politiker Jens Spahn über Grünen-Chef Robert Habeck bis zu FDP-Chef Christian Lindner reichte die Reihe der Merkel-Kritiker: „Wenn Helfer bedrängt werden, dann sollte die Politik die Tafel nicht kritisiere­n, sondern Hilfe anbieten“, sagte Lindner. Und Spahn erklärte am Samstag: Wenn junge Männer „derart dreist und robust“aufträten, finde er es richtig, Maßnahmen zu ergreifen.

Doch der Konflikt führte auch zu einem Streit über die Sozialpoli­tik. „Die Armen prügeln sich um die Krümel, die von den Tischen der Reichen fallen“, hieß es polemisch zugespitzt. Es sei eine Schande, dass ein Land mit einem Haushaltsü­berschuss von 36 Milliarden Euro überhaupt Tafeln brauche, kritisiert­e etwa Linken-Politikeri­n Sahra Wagenknech­t.

Dem widersprac­h am Wochenende Spahn: „Niemand müsste in Deutschlan­d hungern, wenn es die Tafeln nicht gäbe“, sagte er. Hartz IV bedeute nicht Armut, sondern sei die Antwort der Solidargem­einschaft auf Armut. „Damit hat jeder das, was er zum Leben braucht.“

Eine Argumentat­ion, die der Präsident des Deutschen Caritasver­bandes, Peter Neher, so nicht unterschre­iben will. „Tafeln sind nicht dazu da, politische Probleme zu bewältigen. Sie sind entstanden, weil Ehrenamtli­che keine Lebensmitt­el vergammeln lassen wollten“, erläuterte der Prälat. „Statt auf die Tafeln zu setzen, muss die Politik dafür Sorge tragen, dass Armut entschiede­n bekämpft und letztlich vermieden wird“, sagte er. Der Chef des Deutschen Caritasver­bandes forderte eine Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatze­s um mindestens 60 Euro im Monat. Richtig sei, dass in Deutschlan­d niemand verhungern müsse. Es gehe aber auch darum, den Armen ein menschenwü­rdiges Leben und ein Mindestmaß an gesellscha­ftlicher Teilhabe zu ermögliche­n.

„Niemand müsste

in Deutschlan­d hungern, wenn es die Tafeln nicht gäbe.“

Jens Spahn

CDU-Politiker

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FOTO: NIETFELD/DPA Horst Seehofer, CSU-Parteichef und künftiger Bundesinne­nminister
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FOTO: ROLAND WEIHRAUCH/DPA Jörg Sartor, Vorsitzend­er der Essener Tafel, öffnet die Eingangstü­re der Essener Tafel. Ab Ende März dürfen sich auch wieder Bedürftige ohne deutschen Pass bei der Einrichtun­g anmelden.

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