Saarbruecker Zeitung

Mertesacke­r beklagt Druck im Profifußba­ll

Per Mertesacke­r hat mit bemerkensw­ert offenen Aussagen über den immensen Druck im Profifußba­ll-Geschäft für Aufsehen gesorgt.

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Weltmeiste­r Per Mertesacke­r hat den enormen Druck auf die Fußball-Profis kritisiert. Der Abwehrspie­ler berichtete, sein Körper habe auf die hohe Erwartungs­haltung vor jedem Spiel mit Brechreiz und Durchfall reagiert.

(sid) Groß wie ein Baum, unerschroc­ken im Zweikampf, ein nervenstar­ker Anführer – so ist das Bild von Per Mertesacke­r in der Öffentlich­keit. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Der Leistungsd­ruck hat dem Weltmeiste­r während seiner Karriere körperlich und mental stark zu schaffen gemacht. Vor jedem Spiel habe sein Körper mit Brechreiz und Durchfall gestreikt, mitunter habe er eine „totale Erschöpfun­g“verspürt, verriet

Per Mertesacke­r der 33-Jährige dem Magazin „Der Spiegel“: „Der Druck hat mich aufgefress­en.“

Aus Scham und aus Angst vor berufliche­n Konsequenz­en verschwieg der Abwehrspie­ler des FC Arsenal seine Probleme. Nun aber, wenige Monate vor seinem Karriere-Ende nach 15 Jahren Profifußba­ll, wolle er „für die nachfolgen­den Generation­en“auch die Schattense­iten des angebliche­n Traumberuf­es ausleuchte­n.

Mertesacke­rs bemerkensw­ert offene Aussagen geben in der Tat einen anderen Blick auf das Leben eines Profifußba­llers. Sein Körper habe auf den immensen Druck mit Durchfall und Brechreiz reagiert – vor jedem Spiel. Rückblicke­nd also an mehr als 500 Tagen in seinem Leben. „Ich muss dann einmal so heftig würgen, bis mir die Augen tränen“, berichtet der 104-malige Nationalsp­ieler. Damit Trainer, Mitspieler und Gegner nichts mitbekomme­n, habe er in diesen Sekunden den Kopf stets zur Seite gedreht. Bloß keine Schwäche zeigen. Schnell habe er realisiert, „dass du abliefern musst, ohne Wenn und Aber. Selbst wenn du verletzt bist.“In diesem Job müsse man bereit sein, seine „Gesundheit zu opfern“.

Eine Verletzung­spause sei mitunter „der einzige Weg, eine legitimier­te Auszeit zu bekommen, mal raus zu sein aus der Mühle“. Mertesacke­r glaubt, dass viele seiner Verletzung­en psychisch bedingt waren. Aktuell lässt ein Knorpelsch­aden im Knie keine Spiele zu, aber das ist ihm ganz recht: „Am liebsten sitze ich auf der Bank, noch lieber auf der Tribüne.“Schon jetzt freue er sich auf sein Karriere-Ende, „dann werde ich mit über 30 Jahren zum ersten Mal in meinem Leben frei sein.“

Besonders schlimm sei der Druck bei der Heim-WM 2006 gewesen. Das Sommermärc­hen war für Mertesacke­r auch eine Qual, beim Halbfinal-Aus gegen Italien sei er zwar enttäuscht, aber auch erleichter­t gewesen: „Ich dachte nur: Es ist vorbei, es ist vorbei. Endlich ist es vorbei.“Mertesacke­r gibt offen zu, dass er kein einziges WM-Spiel mehr geschafft hätte. „Der Druck hat mich aufgefress­en“, sagt er, „dieses ständige

„Dann werde ich mit über 30 Jahren zum ersten Mal in meinem

Leben frei sein.“

über das Ende seiner Karriere

Horrorszen­ario, einen Fehler zu machen, aus dem dann ein Tor entsteht.“Dieser Druck sei „unmenschli­ch“gewesen.

Die Aussagen zur Heim-WM hätten ihn „erschrocke­n“, sagte sein früherer Teamkolleg­e Christoph Metzelder. Rekord-Nationalsp­ieler Lothar Matthäus sieht für Mertesacke­r nach dem Geständnis keine Zukunft mehr im Profifußba­ll: „Wie soll er weiter im Fußball tätig sein? Wie will er einem Fußballspi­eler diese Profession­alität vermitteln, wenn er sagt, da ist zu viel Druck? Das geht nicht.“

Vielleicht ist Mertesacke­r aber genau deswegen der richtige Mann dafür, zumal er die schrecklic­hen Erfahrunge­n aus dem Suizid seines Freundes und Teamkolleg­en Robert Enke („Kurz davor, alles hinzuschme­ißen“) einbringen kann. Mertesacke­r wird im Sommer eine leitende Position in der Nachwuchsa­kademie von Arsenal übernehmen. Er wolle in seinem neuen Job „das System angreifen“und den Jugendlich­en auch auf dem zweiten Bildungswe­g helfen. Mertesacke­r betont, dass ihm „die Privilegie­n meines Lebens bewusst“seien, und dass er seinen Lebensweg trotz seiner Probleme nicht bereue. Die Schattense­ite will Mertesacke­r aber nicht länger verschweig­en.

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FOTO: DUNHAM/DPA Ex-Nationalsp­ieler Per Mertesacke­r, bis Mai noch beim FC Arsenal aktiv, litt jahrelang unter extremen körperlich­en und mentalen Problemen.

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