Saarbruecker Zeitung

„Das nimmt einen auch persönlich mit“

Die Saarländer­in trat im Januar als Bundeschef­in der Grünen ab. Jetzt ist sie Lobbyistin und liebäugelt mit dem Europaparl­ament.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTEN ULRICH BRENNER UND GERRIT DAUELSBERG

SAARBRÜCKE­N Mehr als acht Jahre war Simone Peter Berufspoli­tikerin: zunächst saarländis­che Umweltmini­sterin, dann Landtagsab­geordnete und schließlic­h Bundesvors­itzende der Grünen. Ende Januar gab sie dieses Amt ab. Seit Anfang des Monats ist sie Präsidenti­n des Bundesverb­andes Erneuerbar­e Energie (BEE), der die Interessen der Branche gegenüber Öffentlich­keit und Politik vertritt. Im SZ-Interview spricht Peter über die Jamaika-Verhandlun­gen, zieht Bilanz und schaut auf ihre Zukunft. Die könnte sie ins Europaparl­ament führen.

Frau Peter, ist es nicht so, dass für eine linke Grüne der Groko-Vertrag besser ist als es ein Jamaika-Vertrag gewesen wäre?

PETER Nein. Der Vergleich hinkt auch, weil man dabei den fertigen Groko-Koalitions­vertrag und das unfertige Jamaika-Sondierung­spapier gegenübers­tellt. Und was darin formuliert war, ging in manchen Bereichen sehr weit. Zum Beispiel beim Klimaschut­z. Der Kohleausst­ieg wird im Groko-Vertrag in eine Kommission verschoben. Deshalb kommen die Klimaziele unter die Räder. Aber auch bei den Bürgerrech­ten und im Gesundheit­sbereich, Stichwort Pflege, waren wir weiter. Da hat natürlich trotzdem noch einiges gefehlt. Und ob die Grünen am Ende zugestimmt hätte, bleibt ungewiss.

Aber gibt es denn auch Punkte, die im Groko-Vertrag stehen, die Sie besser finden als das, was Sie in einer Jamaika-Koalition hätten erreichen können?

PETER Die SPD hat in einigen sozialpoli­tischen Fragen vielleicht etwas mehr erreicht. Allerdings bleibt er auch hier Stückwerk und gibt keine Antwort auf die zunehmende Armut. Und ich frage mich: Wo ist das Kernstück? So wie beim letzten Mal der Mindestloh­n.

Wie haben Sie das Ende der Jamaika-Verhandlun­gen erlebt?

PETER Ich fand die Verhandlun­gsführung der FDP insgesamt schwierig. Und das Ende war bitter: Raus zu gehen und die Verhandlun­gsgruppe einfach stehen zu lassen, ist kein würdiges politische­s Handeln.

Wollte die FDP denn überhaupt eine Einigung?

PETER Die FDP hat von Anfang an große Vorbehalte gehabt. Sie ist nach einer Koalition mit der Union schon einmal aus dem Bundestag geflogen. Klar ist das hart. Aber wenn man sagt, dass man verhandeln will, muss man konstrukti­v nach vorne gehen. Dafür war der Wille nicht da.

Ist der Groko-Kompromiss zum Familienna­chzug nicht sogar ein bisschen weiter gegangen als es bei Jamaika möglich gewesen wäre?

PETER Nein. Wir haben deutlich gemacht, dass es mit uns keine Obergrenze geben kann. Und dass wir auf keinen Fall der weiteren Aussetzung des Familienna­chzuges zustimmen – aus humanitäre­n, aber auch aus integrativ­en Gründen.

Gab es Momente, in denen die Grünen kurz davor waren, die Verhandlun­gen platzen zu lassen?

PETER Nein, aber es gab schwierige Momente. Am Anfang wurden die Gespräche zu Energie und Klimaschut­z unterbroch­en, weil die Klimaziele in Frage standen. Für uns war das eine zentrale Voraussetz­ung. Die große Koalition hat sie nun aufgegeben und damit ihre eigenen Beschlüsse der letzten Jahre in Frage gestellt. Wenn wir nicht am Klimaziel 2020 festhalten und den Kohleausst­ieg nicht beschleuni­gt voranbring­en, laufen wir Gefahr, auch die 2030-Ziele zu reißen. Und diese Konflikte gab es auch bei der Asylfrage: Wir Grünen wollen eine humanitäre und nachhaltig­e Flüchtling­spolitik, die auch die Integratio­nsfragen nicht aus den Augen verliert. Da gab es schon heikle Situatione­n. Aber wir haben immer Kompromiss­e gesucht.

Wo geht denn jetzt die Reise hin für die Grünen? Eher Richtung Union oder eher Richtung Rot-Rot-Grün?

PETER Wir bleiben eigenständ­ige Kraft und setzen eigene Themen. Wir regieren gut in einer Rot-RotGrün-Regierung in Thüringen mit dem linken Ministerpr­äsidenten Ramelow und unter SPD-Führung in Berlin sowie in Baden-Württember­g und Hessen mit der CDU. Und dann Jamaika in Schleswig-Holstein, sogar Kenia mit CDU und SPD in Sachsen-Anhalt und die Ampel in Rheinland-Pfalz. Überall machen wir grüne Politik für eine sozial-ökologisch­e Modernisie­rung. Wir nehmen den Gestaltung­sspielraum wahr, und das ist erfolgreic­h.

Aber als Grünen-Wähler weiß ich nie, was ich am Ende bekomme. Sehen Sie das nicht als Gefahr an?

PETER Nein. In Baden-Württember­g liegen wir in Umfragen bei über 30 Prozent, in Berlin bei 18, sogar in Bayern in der Opposition bei 14. In sämtlichen Regierungs­bündnissen und in der Opposition machen wir eine gute Figur, weil wir deutlich machen, für was wir stehen. Schwierige­r ist es im Osten. Da müssen wir uns grundsätzl­ich überlegen: Wie erreichen wir Regionen, in denen der Strukturwa­ndel Probleme macht und sich Menschen nicht mitgenomme­n fühlen?

Interessan­t, dass Sie da den Osten erwähnen und nicht das Saarland. Hier sitzen Sie auch nicht im Landtag.

PETER Das stimmt. Das war ein tragischer Wahlabend, an dem es knapp nicht geklappt hat. Vor allem wäre fast wieder Regierungs­verantwort­ung möglich gewesen. Nach der Wahl-Niederlage hat der Landesvors­itzende die Konsequenz­en gezogen.

Sie meinen Hubert Ulrich.

PETER Ja. Es war richtig, die Landespart­ei auf neue Füße zu stellen.

Sie arbeiten überwiegen­d in Berlin, Ihre Familie wohnt aber in Saarbrücke­n. Inwieweit wollen Sie sich wieder in die Landespoli­tik einbringen?

PETER Ich werde mich weiter auf die Bundes- und die Europaeben­e konzentrie­ren, seit Anfang März als

Simone Peter

ehrenamtli­che Präsidenti­n des Bundesverb­ands Erneuerbar­e Energie. Und auch beruflich wird es eher nicht auf das Saarland hinauslauf­en.

Es gab ja in der Vergangenh­eit auch parteiinte­rne Konflikte hier im Saarland, in die Sie auch involviert waren. Sind die ausgeräumt?

PETER Ja, die sind ausgeräumt. Ich unterstütz­e Markus Tressel und Tina Schöpfer in ihrem Bemühen, den Landesverb­and gut aufzustell­en.

Wie haben Sie die vergangene­n Monate persönlich erlebt? Da gab es einige Machtkämpf­e bei den Grünen. Hat das Spuren hinterlass­en?

PETER Ja, klar. Das nimmt einen auch persönlich mit. Im Dezember haben Robert Habeck und Annalena Baerbock als Bundesvors­itzende ihren Hut in den Ring geworfen, und in der Partei gab es den Wunsch, sich neu aufzustell­en. Das ist auch nicht ungewöhnli­ch nach einer Bundestags­wahl. Deshalb habe ich die Weihnachts­zeit zum Nachdenken genutzt und im Januar mit einem guten Gefühl die Entscheidu­ng getroffen, das Feld anderen zu überlassen.

Sie haben seit 2009 an verantwort­lichen Stellen Politik gemacht. Haben sie das Gefühl, in der Zeit etwas erreicht zu haben?

PETER Ich würde nicht sagen, ich ruhe in mir, wenn ich nicht das Gefühl hätte, viel erreicht zu haben: zum Beispiel im Saarland als Ministerin die Offensive für die Energiewen­de und die nachhaltig­e Gestaltung der Umwelt- und Verkehrspo­litik. Im Landtag habe ich als Abgeordnet­e später die erste Anfrage zum Grubenwass­er gestellt. Das ist jetzt ein großes Thema. Als Bundesvors­itzende waren es die Themen Energiewen­de und Klimaschut­z in Verbindung mit sozialer Gerechtigk­eit. Auch die Flüchtling­sfrage ist mir immer wichtiger geworden. Die klassische­n drei grünen Felder Ökologie, Gerechtigk­eit und Weltoffenh­eit engagiert mit zu begleiten – das hat mir auch viel Anerkennun­g innerhalb und außerhalb der Grünen eingebrach­t.

Gab es auch Tiefpunkte? Dinge, die nicht so gut gelungen sind?

PETER Es gibt immer Tiefpunkte, immer Dinge, die man hätte besser machen können. Auf die falsche Spur gerieten leider die Aussagen zur Silvestern­acht in Köln 2016/17…

…damals äußerten Sie sich kritisch darüber, dass die Polizei knapp 1000 Personen allein aufgrund ihres fremdländi­schen Aussehens überprüft und teilweise festgesetz­t hatte…

PETER Die Aussagen waren als solche eigentlich nicht kritisch, aber der Zeitpunkt. Und sie wurden so zugespitzt und missversta­nden, als ob ich Polizeiarb­eit allgemein diskrediti­ert hätte. Weil das absolut nicht in meinem Sinn war, habe ich mich entschuldi­gt. Aber in einem Rechtsstaa­t muss es möglich sein, das Einsatzkon­zept zu hinterfrag­en.

In jeder anderen Partei hat man als Vorsitzend­e die Möglichkei­t, für den Bundestag zu kandidiere­n. Die Grünen haben da andere Gepflogenh­eiten. Hadern Sie damit, dass Sie diese Möglichkei­t nicht hatten?

PETER Ich habe nie an einem Amt oder einem Mandat gehangen. So oder so werde ich mich auch weiterhin für gesellscha­ftspolitis­che Themen engagieren. Und ich schließe nicht aus, mich im November um eine Kandidatur auf der Bundeslist­e der Grünen für das Europaparl­ament zu bewerben. Mehrere Parteifreu­nde haben mich auf eine Kandidatur angesproch­en. Die Möglichkei­t, unser gemeinsame­s Europa mitzugesta­lten, treibt mich schon seit langem um.

Nun haben Sie ja aber erst einmal ein neues Amt als BEE-Präsidenti­n. Sie gehen jetzt also direkt in eine – wenn auch ehrenamtli­che – Lobbytätig­keit. Fällt das für Sie nicht unter das Thema Karenzzeit?

PETER In der Tat war der Übergang schnell. Das war der Tatsache geschuldet, dass der BEE bereits bei seinem Neujahrsem­pfang Ende Februar seine neue Präsidenti­n präsentier­en wollte und mich direkt nach dem Ausscheide­n als Parteivors­itzende fragte. Die Frage, ob der Wechsel nicht zu schnell kommt, habe ich mir schon gestellt. Allerdings: Wenn man jegliches politische­s Engagement als Lobbyismus deklariert, dann sind die Möglichkei­ten sehr eingeschrä­nkt. Ich stehe aber weiter zu der Grünen-Forderung, dass Regierungs­mitglieder und auch Abgeordnet­e ins Abklingbec­ken sollten, bevor sie für ein Unternehme­n arbeiten. Allerdings war ich zuletzt weder Regierungs­mitglied noch Abgeordnet­e. Und es ist tatsächlic­h eine ehrenamtli­che und auch unentgeltl­iche Tätigkeit. Ich möchte dazu beitragen, die Akzeptanz für die Erneuerbar­en Energien zu steigern und den Klimaschut­z voranzutre­iben.

Inhaltlich wird die Aufgabe nicht ganz einfach. Die Ausgangsla­ge in Sachen Klimapolit­ik ist ja nicht gerade besser geworden.

PETER

Klimaschut­z und zukunftsfä­hige

Simone Peter

Energiepol­itik werden immer dringliche­r. Die Klimaverän­derungen sind bereits jetzt weltweit dramatisch. Wir müssen schnell handeln. Und gerade ein Industrie-Land wie Deutschlan­d ist gefordert, hier voranzugeh­en. Der sozial-ökologisch­e Umbau ist ja auch eine Chance für den Wirtschaft­sstandort.

Zu Ihrer Nachfolge an der Grünen-Spitze: Nun führen zwei Realos die Partei. Sind Sie als linke Grüne damit eigentlich zufrieden?

PETER Ich glaube, dass Annalena Baerbock und Robert Habeck ein gutes Team sind und dass sie das auch gut stemmen werden. Sie verkörpern den Neuanfang, den die Partei wollte. Ich habe vorab dafür geworben, dass die Partei die unterschie­dlichen Interessen integriert, weil so alle mitgenomme­n werden. Das sind vielleicht auch Erfahrunge­n, die ich im Saarland gemacht habe: Wenn sich Teile ausgegrenz­t fühlen, dann verliert die Partei an Schlagkraf­t. Die beiden haben ja starke Ergebnisse auf dem Parteitag bekommen. Deshalb gehe ich davon aus, dass sie die Partei für alle und mit allen führen.

Mit Ihrem Co-Vorsitzend­en Cem Özdemir hatten Sie ja auch einige Differenze­n. Gehen Sie mit dem eigentlich noch Kaffee trinken?

PETER Ein Blick auf die Parteienla­ndschaft zeigt, dass es immer auch innerparte­iliche Konkurrenz­en gibt. Aber letztlich waren wir zusammen darauf konzentrie­rt, die Partei nach vorne zu bringen. Wir sind mit einer gemeinsame­n Feier auseinande­r gegangen. Dabei haben wir bilanziert, dass wir die Partei nach der Verunsiche­rung bei der Bundestags­wahl 2013 in den vier Jahren gut aufgestell­t haben. Und es war auch gut, dass wir mit unserer Unterschie­dlichkeit die gesamte Breite der Partei repräsenti­ert haben. Der tolle Abschied auf dem Parteitag hat gezeigt, dass die Partei das auch anerkannt hat. Einen Kaffee trinken waren wir danach noch nicht, aber das holen wir noch nach.

„Ich habe im Januar mit einem guten Gefühl die Entscheidu­ng getroffen, das Feld anderen zu überlassen.“

„Ich werde mich weiter auf die Bundes- und die Europaeben­e konzentrie­ren.“

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FOTOS: ROBBY LORENZ Die Ex-Grünen-Chefin Simone Peter beim Interview in der SZ-Redaktion.
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