Russland kämpft gegen Wahlmüdigkeit
Vor der Präsidentenwahl am 18. März sehen viele Russen nur zwei Möglichkeiten: Putin wählen oder ein Wahlboykott.
Staatsführung: eine niedrige Beteiligung. Es könnten weit weniger als die vom Kreml erhofften 70 Prozent der Wähler ihre Stimme abgeben. „Genau das wäre ein Alptraum für den Kreml“, sagt der russische Kolumnist Konstantin von Eggert. Dadurch könne der Mythos der triumphalen Zustimmung zu Putin entlarvt werden. Die Staatsführung werde daher alles versuchen, um mit einer hohen Beteiligung den Schein eines großen Sieges zu wahren. So überschüttet die Wahlkommission die Russen seit Wochen mit Werbung. An fast jeder Straßenecke, per SMS, sogar mit Plakaten vor dem Saunagang wird der 18. März in Erinnerung gerufen.
In der Diskussion darüber, nicht wählen zu gehen, kommt mehreres zusammen: Politikmüdigkeit, Misstrauen gegen die Obrigkeit und bewusster Boykott. Dazu ruft vor allem Kremlkritiker Alexej Nawalny auf, der wegen einer umstrittenen Vorstrafe von der Kandidatur ausgeschlossen wurde. „Jeder, der wählen geht, stimmt für Lügen und Korruption“, mahnt er in einem Video. Auch eine Stimme für einen Herausforderer sei ein Votum für den Kreml. Hat er Recht? Wahlabstinenz komme rechnerisch Putin zugute, sagen Experten. Nur eine abgegebene Stimme gegen ihn schmälere den Eindruck eines haushohen Putin-Sieges und zeige Unzufriedenheit. Also sollte man für andere Kandidaten stimmen oder ungültig wählen. So werde die Stimme mitgezählt, komme aber nicht Putin zugute.
„Es geht darum, die Diskussion für die Zukunft anzuheizen.“
Dmitri Gudkow
Liberaler Politiker in Moskau
Eine größere Wahlbeteiligung stärke auch die Opposition, sagt der liberale Moskauer Politiker Dmitri Gudkow. Wer auf Platz zwei und drei lande, könne sein politisches Gewicht steigern – besonders für Quereinsteigerin Xenia Sobtschak und Kommunisten-Kandidat Pawel Grudinin sei dies wichtig. „Es geht darum, die Opposition zu vereinen und die Diskussion für die Zukunft anzuheizen“, sagt Gudkow, der nach eigenen Angaben Tausende Wahlbeobachter in Moskau rekrutiert hat.
Andere Organisationen schicken Mitarbeiter los, um Mehrfach-Stimmabgaben, gekaufte oder gefälschte Kreuze zu verhindern. „Wenn Putin schon gewählt wird, wollen wir sichergehen, dass dies auf faire Weise geschieht“, erklärt der Ex-Duma-Abgeordnete, der im Herbst bei der Bürgermeisterwahl in Moskau antreten will. Gudkow will die Politikverdrossenheit mildern. „Viele sind überzeugt, dass sie so die Wahl irgendwie beeinflussen können – wenn schon nicht mit dem Akt des Wählens.“Selbst bei der trägen Präsidentenwahl habe sich gezeigt: „Die Menschen beginnen wieder zu diskutieren.“