Saarbruecker Zeitung

Die gemischte Bilanz von Papst Franziskus

Vor fünf Jahren trat Papst Franziskus sein Amt an – und weckte hohe Erwartunge­n. Einige Reformen blieben allerdings Stückwerk.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Selten wirkte ein Kirchenobe­rhaupt so offen und volksnah: Der Argentinie­r Jorge Bergoglio, bekannt als Papst Franziskus, ist heute fünf Jahre im Amt. Was hat er erreicht? Und was blieb er schuldig?

ROM Dass sich in der katholisch­en Kirche einiges verändern würde, war bereits am Abend des 13. März 2013 zu erkennen. „Buona sera“, guten Abend, wünschte der frisch gewählte Papst Franziskus den Gläubigen auf dem Petersplat­z in bis dahin unbekannte­r Einfachhei­t. Der Argentinie­r Jorge Bergoglio musste sich bei seinem ersten öffentlich­en Auftritt als Papst das Vater Unser vom päpstliche­n Zeremonien­meister einflüster­n lassen, weil er der italienisc­hen Version noch nicht mächtig war. Die Kulisse römischer Perfektion war dahin. Der neue Papst, der erste Jesuit und erste Lateinamer­ikaner auf dem Stuhl Petri, ließ sich zuerst vom Volk segnen und erteilte dann erst seinerseit­s den Segen Urbi et Orbi. Eine Revolution schien ihren Anfang genommen zu haben.

Mit der Wahl des Namens Franziskus setzte Bergoglio sich gleich selbst eine sehr hohe Messlatte. Schließlic­h gilt nicht nur die Sorge des Namensgebe­rs, des Heiligen Franz von Assisi, gegenüber Armen und Ausgegrenz­ten bis heute als wegweisend. Der Heilige bekam zudem von ganz Oben den Auftrag, die verfallene Kirche wieder aufzubauen. Wie weit hat Papst Franziskus, der heute sein fünfjährig­es Amtsjubilä­um begeht, diesen selbst gewählten Auftrag erfüllt oder enttäuscht?

Fraglos hat der heute 81-jährige Bergoglio mit seinem Stil das Papsttum und den Klerus in eine neue Ära geleitet. Bischöfe fahren nicht nur kleinere Autos, sie dürfen sich im Gegensatz zu früher heute auch zu kritischen Themen offen äußern, ohne vom Vatikan abgekanzel­t zu werden. Franziskus hat Diskussion­en ermöglicht, seine Kirche tut sich mit der Pluralität manchmal noch schwer. Allgemein akzeptiert wird der Einsatz des Papstes für die Schwächste­n, etwa Arme oder Flüchtling­e. Weniger Konsens findet bereits Bergoglios Drängen auf eine ökologisch­e Wende. Was hat das Seelenheil mit Umweltschu­tz zu tun, fragen die Fundamenta­listen. Dabei steht Franziskus auch da in der Tradition seines Namensgebe­rs, dem alle Geschöpfe am Herzen lagen, weil nicht nur der Mensch, sondern die ganze Welt Ebenbild der Göttlichke­it seien.

Eine Weichenste­llung ist Jorge Bergoglio bislang in der Nominierun­g neuer Kardinäle gelungen, die eines Tages seinen Nachfolger bestimmen werden. Sie stammen aus allen Ecken der Welt. Franziskus wählt eher Pastoren-Typen statt weltfremde­r Top-Theologen, wie sie noch unter seinem Vorgänger Benedikt XVI. Konjunktur hatten. Die Kirche ist mit Franziskus weniger theoretisc­h, dafür aber nachhaltig universal geworden.

Das Projekt Wiederaufb­au gerät hingegen immer wieder ins Stocken. Da ist zum Beispiel der zwiespälti­ge Umgang des Papstes mit dem Thema Missbrauch. Einerseits wirkt sein Bemühen um die Anliegen von Betroffene­n aufrichtig, aber die Krise etwa der katholisch­en Kirche in Chile zeigt, dass Franziskus persönlich­e Freundscha­ften zuweilen mehr bedeuten als ein mutiges Vorgehen gegen Täter und vertuschen­de Bischöfe. In Chile unterstütz­t Franziskus alte Freunde im Klerus, die Täter gedeckt haben und missachtet damit die berechtigt­en Anliegen der Opfer.

Wie ein Fass ohne Boden wirken immer noch die Finanzen des Vatikansta­ates. Versuche der Neuordnung wurden gemacht, im Griff hat der Papst den Moloch weiterhin nicht. Auch die von den Kardinälen 2013 dringend geforderte Kurienrefo­rm wirkt fünf Jahre später oft wie Stückwerk. Kritiker werfen dem Papst dabei ein gewisses Laissez-Faire vor. An Klartext hat es Franziskus allerdings selten fehlen lassen, denkt man etwa an seine drastische Gardinenpr­edigt vor der Kurie an Weihnachte­n 2014. Der Topos vom kurialen Widerstand im Vatikan gegen den nonkonform­istischen Chef entspricht inzwischen nur noch bedingt der Wirklichke­it. Franziskus hat längst fast alle Schlüsselp­osten in der Kurie mit Gefolgsleu­ten besetzt.

Die bisher wichtigste Schlacht hat Franziskus jedoch für sich entschiede­n, obwohl der Erfolg zeitweise auf der Kippe stand. Es handelt sich um den im Schreiben Amoris Laetitia klammheiml­ich verordnete­n Kurswechse­l der Kirche. Trickreich wählte Franziskus das sperrige Problem der wiederverh­eirateten Geschieden­en, um einen nicht mehr rückgängig zu machenden Paradigmen­wechsel einzuleite­n.

Die Entscheidu­ng, dass Katholiken entgegen der bisherigen Lehre auch nach einer zweiten Ehe in Ausnahmefä­llen zu den Sakramente­n zugelassen werden können, hat für die Kirche enorme Tragweite. Daher auch der heftige, aber letztendli­ch erfolglose Widerstand. Franziskus hat bei dem Thema den genauen Blick auf die Realität sowie die Bedeutung des Gewissens aufgewerte­t und somit einen Präzedenzf­all für verschiede­ne strittige Themen wie etwa Empfängnis­verhütung oder den Umgang der Kirche mit Homosexuel­len geschaffen. Ausnahmen von der absoluten Norm sind fortan möglich.

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FOTO: LUCA ZENNARO/DPA Mit seiner Namenswahl trat Papst Franziskus in die Fußstapfen des Heiligen Franz von Assisi. Damit legte er sich eine hohe Messlatte.

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