Saarbruecker Zeitung

Scharfe Töne zwischen London und Moskau

London bezichtigt Moskau des Attentats auf Ex-Spion Skripal. Der Kreml streitet eine Beteiligun­g ab. Es folgen scharfe Töne wie im Kalten Krieg.

- VON SILVIA KUSIDLO, CLAUDIA THALER UND KATRIN PRIBYL

Der Streit zwischen Moskau und London spitzt sich zu: Großbritan­nien droht Russland nach dem Giftanschl­ag auf einen Ex-Spion mit Strafmaßna­hmen. Die will sich der Kreml nicht bieten lassen.

„Jegliche Drohungen, Russland mit Strafmaßna­hmen zu belegen, werden nicht unbeantwor­tet bleiben.“

Sergej Lawrow

russischer Außneminis­ter

(dpa/SZ) Was derzeit in Großbritan­nien und Russland passiert, erinnert an einen überdrehte­n Agenten-Thriller im Kino. Der russische Ex-Doppelagen­t Sergej Skripal und seine Tochter sitzen bewusstlos auf einer Parkbank in England – jemand wollte sie mit einem Nervengift töten. Die extrem gefährlich­e Substanz soll in der früheren Sowjetunio­n produziert worden sein. London macht Moskau verantwort­lich und setzt ein Ultimatum. Droht ein neuer Kalter Krieg?

Zu keinem anderen EU-Land sind Russlands Beziehunge­n so schlecht wie zu Großbritan­nien. Spionagefä­lle hier wie dort und die Ermordung des Kreml-Kritikers Alexander Litwinenko 2006 mit radioaktiv­em Polonium in London verhindern eine Annäherung. Es folgte die gegenseiti­ge Ausweisung von Diplomaten. Seitdem sind die diplomatis­chen Beziehunge­n auf einem Tiefpunkt.

Gestern um Mitternach­t sollte es ablaufen, das derzeitige Ultimatum von London an Moskau. Doch so spät musste es nicht werden, bis Russland die Forderung der britischen Premiermin­isterin Theresa May zurückwies, sich nach dem Giftmord-Anschlag auf den ehemaligen russischen Doppelspio­n gegenüber der Organisati­on für das Verbot chemischer Waffen zu erklären. Moskau lehnte nicht nur das Ultimatum ab, sondern holte auch zum Gegenschla­g aus: „Jegliche Drohungen, Russland mit Strafmaßna­hmen zu belegen, werden nicht unbeantwor­tet bleiben“, erklärte Russlands Außenminis­ter Sergej Lawrow drohend.

Der Streit zwischen den beiden Ländern eskaliert, nachdem May Russland vorgeworfe­n hat, „sehr wahrschein­lich“hinter dem Attentat auf Skripal und seine Tochter Yulia vom 4. März zu stecken. Immerhin, bei dem eingesetzt­en, extrem gefährlich­en Mittel handelt es sich laut Behörden um eine Substanz, die der Nervengift­gruppe „Nowitschok“zugerechne­t wird, „von militärisc­her Qualität“ist und in der ehemaligen Sowjetunio­n hergestell­t wurde. Großbritan­nien, innerhalb der EU einer der schärfsten Kritiker des russischen Vorgehens gegen die Ukraine, wollte mit betonter Entschloss­enheit Antworten einfordern. Moskau zwingen, zur Aufklärung des Attentats auf den 66-Jährigen und seine 33-jährige Tochter beizutrage­n. Sie ringen im Krankenhau­s um ihr Leben.

Für die britische Regierung gibt es nur zwei Erklärunge­n, die in Frage kommen: Entweder habe Moskau den Anschlag direkt ausgeführt, oder die russische Regierung habe die Kontrolle über das Nervengift verloren, und es sei in andere Hände gelangt.

Russland zeigte sich jedoch unbeeindru­ckt: Lawrow verlangte vielmehr Zugang zu den verdächtig­en Proben und eine gemeinsame Untersuchu­ng. „Ansonsten sind alle Aussagen Londons sinnlos.“Moskau warf den Briten zudem vor, sich nicht an die Vorgaben der Chemiewaff­enkonventi­on zu halten. Schon am Montagaben­d hatte Lawrow Mays Auftritt vor dem Parlament als „Zirkusshow“abgetan. Derweil betonte der britische Außenminis­ter Boris Johnson gestern, man bleibe bei dem gestellten Ultimatum. Sollte nichts aus Moskau kommen, werde man heute „die Antwort Großbritan­niens verkünden“.

Zu konkreten Sanktionen äußerte er sich zwar nicht. Doch seit Tagen überschlag­en sich die Medien im Königreich mit Maßnahmen, die May als Druckmitte­l einsetzen könnte. Sie reichen von der Ausweisung diplomatis­cher Vertreter über das Einfrieren von Vermögen russischer Oligarchen in Großbritan­nien bis hin zum Boykott der Fußball-WM im Sommer – die Spieler würden zwar nach Russland reisen, hochrangig­e Funktionär­e aber könnten dem Turnier fernbleibe­n. Als denkbar gilt auch, Russland des staatliche­n Terrorismu­s zu bezichtige­n, was weitere Sanktionen nach sich ziehen könnte. Selbst eine Cyberattac­ke auf den Kreml sei möglich, hieß es.

Großbritan­nien steht derzeit besonders unter Druck. Die Lage im Land ist wegen des bevorstehe­nden Brexits angespannt, das Kabinett ist zerstritte­n, Mays Posten wackelt. Sie muss Stärke zeigen – dabei könnte das entschloss­ene Vorgehen gegen Russland helfen.

Und Moskau? Das Vorgehen, alle Vorwürfe zurückzuwe­isen, hat bereits Routine. Ähnlich war es bei den US-Anschuldig­ungen, die Präsidente­nwahl 2016 beeinfluss­t zu haben. Russische Funktionär­e behaupten nun gar, London habe den Anschlag auf den Ex-Agent selbst geplant und ausgeführt. Das Ziel: Moskau vor der Präsidente­nwahl am Sonntag und der WM in ein schlechtes Licht zu rücken. Doch auch jenseits von Verschwöru­ngstheorie­n erinnert die Stimmung an düstere Zeiten wie im Kalten Krieg – zumindest ein wenig.

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FOTO: ZEMLIANICH­ENKO/DPA Die russische Seite: Sergej Lawrow, russischer Außenminis­ter, bestreitet alle Vorwürfe Londons.
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FOTO: MAYO/DPA Die britische Seite: Premiermin­isterin Theresa May sieht Russland in den Fall des vergiftete­n Ex-Spions verwickelt.

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