Saarbruecker Zeitung

Obdachlose­r schreibt über schwierige­n Alltag

Mit seinem schonungsl­osen Buch hat es Richard Brox in die Bestseller­listen geschafft. Jetzt will er anderen Mut machen.

- Produktion dieser Seite: Thomas Schäfer, Ulrich Brenner Pascal Becher FOTO OBEN: SZ

Richard Brox ist Deutschlan­ds bekanntest­er Obdachlose­r. Über sein Leben auf der Straße hat der Mannheimer ein schonungsl­os offenes Buch geschriebe­n und es damit in die Bestseller-Listen geschafft. Sein Ziel: Mut machen.

(dpa) Wenn Deutschlan­ds derzeit wohl berühmtest­er Obdachlose­r vom Nachtasyl zwischen Hamburg und München erzählt, mischt sich Wut in den Kurpfälzer Dialekt des Richard Brox. „Oft sind die Betten feucht vom Urin des Vorgängers, und die Toiletten haben keine Türen“, schildert der gebürtige Mannheimer. „In vielen Einrichtun­gen werden Obdachlose behandelt wie der letzte Dreck. Menschenun­würdig ist das“, klagt der 53-Jährige und streicht über sein Stoppelkin­n. „Jeder Mensch braucht eine Chance. Manche brauchen auch eine zweite.“

Seit 30 Jahren lebt Brox auf der Straße – jetzt hat er ein Buch darüber geschriebe­n: „Kein Dach über dem Leben“. Es ist eine schnörkell­ose Abrechnung mit Behörden und auch mit sich selbst, ohne falsche Freiheitsr­omantik der Streunersz­ene gegenüber. „Das Straßenleb­en ist brutal hart, man muss alles erkämpfen“, sagt Brox. Einen festen Wohnsitz hat er weiterhin nicht, sein Buch hat jedoch vorerst einen Platz in den Bestseller­listen gefunden.

Aber vom Tellerwäsc­her zum Millionär – ein solches Aufsteiger­märchen ist die Geschichte von Richard Brox nicht. Von den Einnahmen will der stämmige Mann nichts behalten. „Ich will die Tantiemen in eine hospizähnl­iche Betreuungs­form legen“, betont er. Meist sterbe ein Obdachlose­r, der an Krebs oder Aids erkrankt sei, einsam in einer Klinik.

An diesem kalten März-Tag geht Brox durch seine Heimatstad­t Mannheim. Er ist erkältet, hustet und schnäuzt. „Es war eiskalt im Schlafsaal“, schildert er. Zuvor, in den Wintermona­ten, konnte er in Unkel am Rhein bei Günter Wallraff wohnen. Den Enthüllung­sjournalis­ten hatte er 2008 kennengele­rnt, gemeinsam drehten sie den Film „Unter Null“über die Obdachlose­nszene. Seither sind sie befreundet und spielen ab und zu Schach („Meist gewinne ich, aber er wird besser“).

Mannheim ist für Brox gleichzeit­ig Inspiratio­n und Schmerz. In der Stadt nahm er als Jugendlich­er erstmals Kokain, und hier verlor er 1986 kurz nach dem Tod der Eltern die Wohnung durch Zwangsräum­ung. „Das war der wegweisend­e Schritt, der alles Schlimme auf einen Punkt brachte“, sagt Brox. Die Drogensuch­t finanziert­e Brox mit Kurierdien­sten von einem Dealer zum anderen. Er geriet mit dem Gesetz in Konflikt, ließ sich auch auf Tricks bei Banken ein und wurde wegen Betrugs verurteilt.

Ende November 1989 steht Brox auf der Kurpfalzbr­ücke in Mannheim und denkt an Selbstmord. Statt zu springen, fährt er zum Landesklin­ikum nach Heidelberg und macht einen Entzug. Im Sommer 1990 ist

„In vielen Einrichtun­gen werden Obdachlose behandelt wie der letzte Dreck.“Richard Brox Obdachlose­r

er clean. Sein Ziel: die neuen Bundesländ­er. „Im Osten war gerade die Mauer gefallen – und bei mir quasi auch.“Die 90er beschreibt er als pures Glück, dann wird seine Freundin schwanger. „Ich war im Kopf noch nicht reif dafür.“Er verlässt die Mutter vor der Geburt des Kindes, zu seiner Tochter hat er keinen Kontakt. Dass er seine Freundin verlassen hat, erklärt er mit Dämonen seiner Kindheit: Brox‘ Eltern waren im KZ, traumatisi­ert vom Krieg. Das Verhältnis zum Kind war schwierig. In der Wohnung schlief Richard im Flur. „Es war die pure Trostlosig­keit, ich habe sehr gefroren – innerlich und äußerlich.“

In der Szene gilt Brox längst als Sprachrohr der Obdachlose­n. Sich selbst bezeichnet er oft als „Reisender ohne Heimat“. Seit 1999 führt er im Internet Buch über Notunterkü­nfte und benotet sie. „Das ist eine Art Hoteltest für Arme“, sagt Brox. Was er sich wünscht? „Bessere Notunterkü­nfte, die 24 Stunden lang betreut werden, und die Abschaffun­g der Mehrbettzi­mmer.“Viele Menschen, die im Freien übernachte­n, kämen erst gar nicht in diese Aufnahmest­ellen – sie fürchten sich vor Gewalt und Beleidigun­gen. „Wer aber Schutz braucht, muss ihn bekommen.“

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FOTO: ANSPACH/DPA Er kennt sonst eher die Schattense­iten seiner Heimat: Deutschlan­ds berühmtest­er Obdachlose­r Richard Brox in einer Einkaufspa­ssage in Mannheim.

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