Saarbruecker Zeitung

Eine Kanzlerin in der Ehrenrunde

Angela Merkel regiert Deutschlan­d bereits seit 4495 Tagen. Heute steht sie vor ihrer vierten Amtszeit. Es wird wohl ihre letzte – und härteste.

- VON WERNER KOLHOFF

Ein Häuflein „Bärgida“-Demonstran­ten zog am Tag der Unterzeich­nung des neuen Koalitions­vertrages durch die Berliner Friedrichs­traße. Wie jeden Montagaben­d. Die Teilnehmer riefen: „Merkel muss weg!“Man könnte es abtun wie den „Wachturm“-Verkäufer vor dem Kaufhaus. Doch zu Beginn der vierten Amtszeit der ewigen Kanzlerin klingen diese Rufe nicht mehr sektiereri­sch. Es gibt sie bis in die eigene Partei der CDU-Chefin hinein.

Die Stimmung ähnelt der um Helmut Kohl in den späten 90er Jahren. Damals konnte man selbst im katholisch­en Landkreis Vechta, der Gegend mit dem höchsten CDU-Stimmenant­eil bundesweit, hören, dass es genug sei mit dem „Dicken“, eine Verjüngung notwendig sei. Kohl amtierte 16 Jahre. Heute reden führende CDU-Politiker aus der Region wieder so. Bereitwill­ig erörtern sie, wer Angela Merkel folgen soll. „Kramp-Karrenbaue­r ist wirklich klasse“, sagt einer. „Aber von der Leyen sehe ich auch noch im Rennen.“Merkel ist nicht mehr sakrosankt.

Volker Rühe, der in der Endphase Kohls Verteidigu­ngsministe­r und damals einer der wichtigste­n innerparte­ilichen Kritiker des „Alten“war, verschafft sich heute wieder Gehör. Und zwar praktisch in gleicher Angelegenh­eit. Merkel müsse endlich wichtige Positionen mit möglichen Nachfolger­n besetzen. Die FDP erklärt sogar, dass sie nicht als Koalitions­partner der Union zur Verfügung steht, solange Merkel dort noch die Geschäfte führt. Damit wird Merkels Beharren auf den Kanzlerstu­hl für die CDU machtrelev­ant. Der Unterschie­d zu Kohl ist freilich, dass die 63-jährige Uckermärke­rin das alles weiß. Sie vertagt den Abgang nur. Auf 2021 nach dann ebenfalls 16 Amtsjahren. Sie will ja Nachfolger aufbauen. Kramp-Karrenbaue­r hat sie zur Generalsek­retärin gemacht, Jens Spahn zum Minister. Nur will sie noch einmal vier Jahre regieren. Nach ihrem Verständni­s hat sie das vor der Wahl versproche­n und muss es jetzt auch halten. Kohl wollte hingegen 1998 noch einmal mit dem Kopf durch die Wand, noch eine Wahl gewinnen. Es war die eine zu viel.

Merkel ist nun eine Kanzlerin, die noch eine Ehrenrunde dreht, wie man es im Büro nennt, wenn einer kurz vor der Rente steht, nicht mehr müsste, aber trotzdem noch arbeitet. Der mangelnde Elan ist ihrer vierten Amtszeit ins Gesicht geschriebe­n. Es begann schon mit der zögerliche­n Art, in der sie im vorletzten Winter ihre Kandidatur erklärte. Setzte sich dann fort mit einem wenig engagierte­n Wahlkampf, in dem sie praktisch wehrlos zusah, wie die AfD zulegte und ihre Partei massiv verlor. Und endet mit einem Koalitions­vertrag, dessen Inspiratio­n eher von der SPD und der CSU kommt als von ihr.

Es gibt bei all dem ein großes Aber: „Man sollte Merkel nicht unterschät­zen.“Das hat der ausgeschie­dene Merkel-Kritiker Wolfgang Bosbach (CDU) gesagt, das hat eine Legion von starken Männern lernen müssen, die Merkel mal links, mal rechts hat liegen lassen. Ihre Dickfellig­keit ist anders als die Kohls, sie ist nicht aus Eitelkeit, sondern aus Pragmatism­us gemacht. Nach diesem halben Jahr der Koalitions­verhandlun­gen, das für sie wie eine Zwangspaus­e war, wird sie schnell weiter machen, mit

„Man sollte Angela Merkel nicht unterschät­zen.“Wolfgang Bosbach CDU-Politiker und Merkel-Kritiker

dem, was sie am besten kann: Wird die Regierung mit ihren jungen Gesichtern und auseinande­rstrebende­n Parteien moderieren; wird Klausuren veranstalt­en. Und sie wird sich europapoli­tisch zurückmeld­en. Kurz nach ihrer heutigen Wiederwahl will sie nach Paris reisen. Brexit, Polen, Italien, Handelskri­eg, es sind nicht weniger Probleme geworden.

Die Frage ist, ob dieses „Weiter so“jetzt noch angemessen ist. Die Welt, auch Deutschlan­d, hat sich verändert. Zum Beispiel reicht so ein Regierungs­pragmatism­us nicht mehr, um die Ängste der Bürger, ob sie berechtigt sind oder nicht, anzusprech­en. Man wird sehen, ob die Kanzlerin es schafft, ihren Regierungs­stil doch noch einmal zu verändern. Ob sie neuen Elan findet. Wenn nicht: Die aggressive AfD, die angeschlag­ene SPD, die verunsiche­rte CSU und die am Weiterregi­eren nach Merkel interessie­rte CDU werden sie schon treiben. Die vierte Amtszeit wird in vielem unerfreuli­ch werden für Angela Merkel, geboren in Hamburg, aufgewachs­en in Templin, Kohls so groß gewordenes „Mädchen“. So wie es eben ist, wenn man den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören verpasst.

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FOTO: VON JUTRCZENKA/DPA Die Raute ist ihr Markenzeic­hen: Gefühlt gab es auch keine Pressekonf­erenz in den vergangene­n zwölf Jahren, in der Kanzlerin Angela Merkel nicht diese Pose machte.

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