Saarbruecker Zeitung

Eine Zitterpart­ie droht Merkel bei der heutigen Wahl nicht

- VON HAGEN STRAUSS

BERLIN Es gab Zeiten, da stand es Spitz auf Knopf. 1994 zum Beispiel. Da wurde Roland Richter ungewollt zur Berühmthei­t. Der CDU-Abgeordnet­e lag noch im Bett, während Kanzler Helmut Kohl (CDU) wegen der knappen Koalitions­mehrheit um seine Wiederwahl bangte. Im letzten Moment erreichte Richter den Bundestag, Kohl bekam eine Stimme mehr als erforderli­ch. Eine solche Zitterpart­ie muss Angela Merkel heute nicht befürchten.

Damals entlud sich ein Donnerwett­er über Richter. Wer in solchen Situatione­n zu spät komme, müsse seine Aufgaben als Abgeordnet­er überdenken, soll Fraktionsc­hef Wolfgang Schäuble getobt haben. Der heutige Vorsitzend­e Volker Kauder würde wohl genauso harsch reagieren, wenn einer aus der Union nicht pünktlich aus den Federn käme. Heute Um 8.30 Uhr bittet Kauder seine Parlamenta­rier zum Zählappell, wie die SPD übrigens auch, bevor dann um neun Uhr im Reichstag die Wahl der Bundeskanz­lerin beginnt. Die Parlamenta­rischen Geschäftsf­ührer müssen dafür sorgen, dass alle an Bord sind. Auch auf Krankheite­n wird nur wenig Rücksicht genommen.

Es wird Angela Merkels vierte Wahl werden – modisch gesehen hat sie bisher immer auf einen schwarzen Hosenanzug gesetzt. Auf die Frage, wie viele Gegenstimm­en es aus der Unionsfrak­tion wohl geben könnte, lautete die Antwort gestern: „Keine.“Abwarten. Klar ist: Es handelt sich um eine geheime Wahl. Jeder Abgeordnet­e wird namentlich aufgerufen und erhält erst kurz vor Betreten der Kabine seinen Stimmzette­l. Durchaus möglich ist es natürlich, dass der eine oder andere nein sagt, weil er keinen Posten bekommen hat oder weil er nach zwölf Jahren im Amt der Kanzlerin überdrüssi­g ist.

Durchaus möglich ist auch, dass Groko-Gegner in der SPD Merkel ablehnen. Wobei Fraktionsc­hefin Andrea Nahles gestern meinte, sie rechne „mit überhaupt niemandem“. Allerdings müsste es schon mit dem Teufel zugehen, wenn Merkel nicht die erforderli­chen 355 Stimmen für die Kanzlermeh­rheit bekommt, verfügt doch die neue große Koalition über 399 Abgeordnet­e. Jedenfalls wird genau geschaut werden, wie viele Voten rechnerisc­h aus dem Lager der Koalition fehlen. Falls es keine sind, wäre das ein Traumstart für die 63-Jährige, wird es knapp, ein Dämpfer. Bekäme die CDU-Vorsitzend­e hingegen mehr Stimmen als die große Koalition hat, wäre das eine Sensation.

Das Prozedere nach der Wahl kennt die Regierungs­chefin inzwischen gut: Sie muss pendeln. Frisch gewählt fährt sie zum Schloss Bellevue, wo sie gegen 11 Uhr von Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier ernannt wird. Merkel trägt sich ins Gästebuch ein, das hat Tradition, wenn eine neue Regierung ins Amt eingeführt wird. Dann geht es zurück in den Bundestag, gegen 12 Uhr wird sie vor den 709 Mitglieder­n und den Vertretern des Bundesrate­s von Bundestags­präsident Schäuble vereidigt werden. „So wahr mir Gott helfe“– diese Worte hat sie dem Eid bislang immer hinzugefüg­t. Dann machen sich die anderen Mitglieder des künftigen Bundeskabi­netts auf den Weg ins Schloss Bellevue, um von Steinmeier ernannt zu werden.

Sind die Minister zurück im Bundestag, werden auch sie von Schäuble vereidigt. Gegen 14 Uhr hat Deutschlan­d fast sechs Monate nach der Wahl endlich eine neue Bundesregi­erung. Nachmittag­s finden bereits für einige Ressorts die Amtsüberga­ben statt.

Am späten Nachmittag um 17 Uhr leitet die Bundeskanz­lerin dann schon die erste Sitzung des neuen Kabinetts. Wie, wo und mit wem sie im Anschluss noch etwas feiern wird, ist ein Geheimnis.

Newspapers in German

Newspapers from Germany