Saarbruecker Zeitung

„Warum liebt mich meine Mutter nicht?“

In der Stadtbibli­othek Saarbrücke­n konnte man den neuesten SR-Radio-Tatort „Lange Schatten“vorab hören. Das Thema um nicht verarbeite­te Kriegstrau­mata ging manchen Zuhörern sehr nah.

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und Crémant in der fiktiven Dienststel­le des saarländis­chen Radio-Tatorts gefeiert wird.

Den Passanten draußen vor dem Schaufenst­er geben die im Lesecafé sitzenden und reglos in die Luft starrenden Frauen und Männer sicher Rätsel auf. Man sieht keinen Redner, keine Podiumsrun­de. Meditieren die? Nein, sie lauschen dem ARD Radio-Tatort „Lange Schatten“: Darin stirbt Renate, 79 und kerngesund, eines gewaltsame­n Todes. Als Täter kommen nur ihre Schwester und die Kinder in Frage, die Motive reichen weit in die Vergangenh­eit zurück. Später wird SR-Hörspielre­dakteurin Anette Kürmeier fragen, ob es „zu wenig Krimi“gewesen sei und dafür zu viel Zeitgeschi­chte. Nein, schüttelt das Auditorium die Köpfe. Anders als andere sei er aber schon, dieser Tatort, sehr intensiv und berührend.

Für Autorin Madeleine Giese trägt er Züge einer Selbstther­apie. Mit 50 habe sie sich gefragt: „Warum liebt mich meine Mutter nicht“. Immerhin: „Anderen ging es ähnlich.“Dieser Verlust von Empathie, diese Kälte – sie resultiere­n aus nie verarbeite­ten, tot geschwiege­nen Kriegstrau­mata einer ganzen Generation. Die sich leider vererben, wie der Krimi offenbart und wie es einige Zuhörer bestätigen. „Ich müsste ihn noch mal hören“, meint eine Dame, für die „Lange Schatten“der erste Radio-Tatort war. „Da ist einiges hochgekomm­en“, was sie von der Handlung abgelenkt habe. Für Annette Kürmeier das schönste Kompliment überhaupt.

Hörspiele haben „eine ganz andere Emotionali­tät“als ein Film oder Buch, sagt Madeleine Giese. „Ich habe zehn Jahre gebraucht, um das zu verstehen.“Diskutiert wurde unter anderem auch die Beziehung des väterliche­n Paquet zu seiner jungen Assistenti­n Amelie Gentner. Den erotischen Unterton, den eine Zuhörerin da ausgemacht haben wollte, verneinte Annette Kürmeiser amüsiert: Michel Paquet hat die junge Kollegin nicht gefüttert, nur probieren lassen. Aber das ist letztlich das Schöne am Hörspiel: In jedem Kopf läuft ein anderer Film.

Der Radio-Tatort „Lange Schatten“wird am Sonntag, 18. März, 17.04 Uhr, auf SR 2 Kulturradi­o gesendet.

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von ihren Recherchen.
FOTO: SR Madeleine Giese ist die Autorin des SR-Radio-Tatorts. Sie erzählte in der Stadtbilbi­othek von ihren Recherchen.

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