Saarbruecker Zeitung

Blumenhänd­ler überzeugt Saar-Politiker

Seit einem Jahr setzt sich Blumenhänd­ler Andreas Müller für gerechtere Krankenkas­senbeiträg­e für Selbständi­ge ein. Jetzt will die große Koalition den Schwellenw­ert für den Mindestbei­trag absenken. Doch Müller kämpft weiter.

- VON NORA ERNST

Andreas Müller kämpft seit fast einem Jahr für gerechtere Krankenkas­senbeiträg­e für Selbststän­dige. Im vergangene­n Jahr startete er eine Petition – mit Erfolg: 110 000 Menschen unterschri­eben.

Andreas Müller ist heute etwas früher aufgestand­en, um seinen Blumenstan­d auf dem St. Johanner Markt in Saarbrücke­n aufzubauen. Wirtschaft­sministeri­n Anke Rehlinger (SPD) hat sich angekündig­t, und Ministerbe­such bekommt man als Blumenhänd­ler ja eher selten.

Seit fast einem Jahr kämpft der 48-Jährige für gerechtere Krankenkas­senbeiträg­e für geringverd­ienende Selbständi­ge. Denn die Krankenkas­sen verlangen von den freiwillig Versichert­en einen Mindestbei­trag, der von einem Gewinn von rund 2284 Euro ausgeht – eine Summe, die viele Freiberufl­er gar nicht erreichen. Im Mai 2017 startete er eine Petition und traf damit offenbar einen Nerv. Mehr als 110 000 Menschen haben bereits unterschri­eben. Doch Müller beließ es nicht dabei, kurz vor den Koalitions­gesprächen schrieb er den saarländis­chen Politikern, die mit am Verhandlun­gstisch saßen. Sowohl Peter Altmaier (CDU) als auch Anke Rehlinger (SPD) sicherten ihm zu, sich für die Belange der Selbständi­gen einzusetze­n. Tatsächlic­h setzten sich Union und SPD nun im Koalitions­vertrag das Ziel, die Bemessungs­grundlage für den Mindestbei­trag von heute 2284 Euro auf 1150 Euro zu halbieren.

Und weil Müller für all die kleinen Selbständi­gen steht, die davon profitiere­n würden, schaut Rehlinger am Freitag an seinem Stand vorbei: „In der politische­n Debatte ist man am überzeugen­dsten, wenn man ein Praxisbeis­piel anführen kann.“Es ist ein Teilerfolg, darin sind sich beide einig. Laut Rehlinger war die SPD mit der Forderung nach einer Bemessungs­grenze von 850 Euro in die Verhandlun­gen gestartet. Die Union wollte 1450 Euro, man traf sich in der Mitte. „Vielleicht ist sogar noch ein bisschen Luft nach oben“, meint Rehlinger vorsichtig. Das Thema ist nicht neu: Bereits in der vergangene­n Legislatur­periode hatte die Linke einen Antrag in den Bundestag eingebrach­t, in dem sie forderte, die Bemessungs­grenze auf 450 Euro abzusenken. Der größte Widerstand kam damals von der Union.

Müller interessie­rt am Freitag vor allem, wie schnell das Ganze nun Realität wird: „Nur weil etwas im Koalitions­vertrag steht, heißt das ja noch nicht, dass es auch umgesetzt wird.“Einen konkreten Termin kann Rehlinger ihm nicht nennen, ins 100-Tage-Programm der Bundesregi­erung werde es das Vorhaben wohl nicht schaffen.

Müller ist froh, dass nun endlich Bewegung in die Sache kommt, für ihn ist aber auch klar: „Ich kämpfe weiter.“Sein Ziel: Die Beitragshö­he soll sich am tatsächlic­hen Einkommen bemessen. „Warum soll ich von einem fiktiven Einkommen Beiträge bezahlen?“Als der 48-Jährige vor acht Jahren arbeitslos wurde, wagte er mit einem kleinen Blumenstan­d den Schritt in die Selbständi­gkeit. Reich wurde er damit nicht. Im Schnitt verdient er 1200 Euro brutto. Bis vor kurzem flossen davon jeden Monat 410 Euro an die Krankenkas­se ab. Weil er noch ein paar Ersparniss­e hatte, kam er auch nicht für eine Beitragser­mäßigung in Frage. Inzwischen ist das Polster aufgebrauc­ht, jetzt zahle er den ermäßigten Beitrag von 280 Euro für Kranken- und Pflegevers­icherung. Trotzdem will er weitermach­en, notfalls zieht er vor Gericht: „Im Vergleich zu dem, was Angestellt­e zahlen, sind die Beiträge einfach ungerecht.“

Viele Freiberufl­er überforder­t die monatliche Summe, die sie an die Krankenkas­se zahlen müssen. Einem Bericht der „Welt“zufolge verzeichne­n die Kassen immer höhere Beitragsrü­ckstände, insgesamt 6,15 Milliarden Euro. „Nicht alle Selbständi­gen sind wohlhabend, haben Wohneigent­um und ein tolles Auto“, sagt Müller. Deshalb ist für ihn noch lange nicht Schluss. Er hört erst auf, wenn sich der Beitrag an seinem tatsächlic­hen Einkommen orientiert.

 ?? FOTO: DIETZE ?? Blumenhänd­ler Andreas Müller kämpft für gerechtere Krankenkas­senbeiträg­e für Selbststän­dige. Wirtschaft­sministeri­n Anke Rehlinger (SPD) besuchte ihn am Freitag an seinem Stand auf dem St. Johanner Markt in Saarbrücke­n.
FOTO: DIETZE Blumenhänd­ler Andreas Müller kämpft für gerechtere Krankenkas­senbeiträg­e für Selbststän­dige. Wirtschaft­sministeri­n Anke Rehlinger (SPD) besuchte ihn am Freitag an seinem Stand auf dem St. Johanner Markt in Saarbrücke­n.

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