Saarbruecker Zeitung

Grüne wollen mehr Zugriff auf das höchste Gericht

Das Bundesverf­assungsger­icht kontrollie­rt die Politik, seine Richter aber werden nach politische­m Proporz ausgesucht. Der gerät jetzt ins Wanken.

-

STUTTGART/KARLSRUHE Das Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe ist eine der Institutio­nen, die bei den Deutschen besonderes Vertrauen genießen – weit größeres als die Politik. Doch dass das Gericht nicht unpolitisc­h ist, weiß die Öffentlich­keit spätestens seit der Diskussion um die Besetzung einer Richterste­lle mit dem früheren saarländis­chen Ministerpr­äsidenten Peter Müller, der damals auf Vorschlag seiner CDU ins Amt kam. Jetzt ist über das Vorschlags­recht für Verfassung­srichter erneut ein Streit unter den politische­n Parteien entbrannt. Die SPD steht nicht mehr zu einer Verabredun­g, die sie auf Ebene der Länder mit Union und Grünen getroffen hat. Diese Verabredun­g von 2016 sieht vor, dass die Grünen jeden fünften Verfassung­srichter vorschlage­n, der in der Länderkamm­er gewählt wird. Die Verfassung­srichter werden je zur Hälfte in der Länderkamm­er und zur anderen Hälfte im Bundestag gewählt.

Am 24. April erreicht der Verfassung­srichter Michael Eichberger aus dem Ersten Senat die Altersgren­ze. Schon länger pocht der baden-württember­gische Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) auf die alte Verabredun­g und mahnt an, dass die Grünen bei der Nachbesetz­ung der Stelle zum Zuge kommen. Doch die SPD ziert sich. Kretschman­n hat das Thema auch im informelle­n Teil der Ministerpr­äsidentenk­onferenz, die jetzt in Brüssel tagte, angesproch­en. Wie zu hören ist, konnten sich die Regierungs­chefs nicht einigen.

Das Thema wurde vertagt auf Mai. Kretschman­n ist nicht bereit, zurückzust­ecken. Am Rande des Treffens war zu hören, dass die unionsregi­erten Länder, die von Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier (CDU) koordinier­t werden, zu der Absprache auch weiterhin stehen. Bei den SPD-regierten Ländern, die von Bremens Bürgermeis­ter Carsten Sieling (SPD) koordinier­t werden, sei es schwierig, heißt es. Bei der Bundesrats­sitzung am 8. Juni muss eine Entscheidu­ng über die Personalie fallen. Wie zu lesen war, haben die Grünen als Nachfolger Claudio Nedden-Boeger im Blick, Richter im Senat für Familienre­cht am Bundesgeri­chtshof und Richter am Landesverf­assungsger­icht in Nordrhein-Westfalen.

Die Grünen leiten ihren Anspruch, bei der Benennung von Richterste­llen zu entscheide­n, aus ihrer Beteiligun­g an mittlerwei­le neun von 16 Landesregi­erungen ab. Mit Susanne Baer gibt es bereits eine Richterin im Ersten Senat, die auf dem Ticket der Grünen läuft. Lange Zeit hatten SPD und Union unter sich ausgemacht, welche Kandidaten für das Karlsruher Gericht vorgeschla­gen werden. Mal ließen sie FDP und Grünen, ihre Juniorpart­ner in wechselnde­n Konstellat­ionen, zum Zuge kommen. Doch indem Union und SPD über die Jahrzehnte Prozente verloren haben und in einigen Ländern keine Volksparte­ien mehr sind, wachsen die Ansprüche der anderen Parteien. Letztlich müssen sich die Ministerpr­äsidenten der Länder untereinan­der einigen. Ein Richter muss mit zwei Drittel der 16 Stimmen in der Länderkamm­er gewählt werden.

Für Verärgerun­g in der Politik sorgt, dass sich auch Stimmen aus dem Verfassung­sgericht selbst zu der Nachbesetz­ung zu Wort gemeldet haben. Einige Richter haben hinter vorgehalte­ner Hand Bedenken geäußert, dass die Grünen zum Zuge kommen. Hintergrun­d sind aber nicht Zweifel an der Kompetenz des Kandidaten. Vielmehr fürchte die Richtersch­aft, dass damit womöglich der Erste Senat in der Öffentlich­keit als mehrheitli­ch politisch links wahrgenomm­en werde. Schon heute gebe es ein Übergewich­t von Kandidaten, die eher linken Parteien nahe stehen sollen. Sollte sich Kretschman­n durchsetze­n, gäbe es im Ersten Senat zwei der acht Richter, die die Union vorgeschla­gen hat, drei kämen auf Geheiß der SPD, zwei von den Grünen und einer von den Liberalen.

Richter fürchten, der Erste Senat könnte als politisch links wahrgenomm­en werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany