Saarbruecker Zeitung

Besuch an der Wiege des Euro

Kleine Stadt mit großer Geschichte: In Maastricht wurde 1991 die europäisch­e Gemeinscha­ftswährung beschlosse­n.

- VON BERND F. MEIER

MAASTRICHT „Mosae Trajectum“, so nannten die Römer den strategisc­h wichtigen Übergang über die Maas, daraus entstand später der Name Maastricht. Im äußersten Südosten der Niederland­e, im Landzipfel zwischen Deutschlan­d und Belgien gelegen, ist die Hauptstadt der Provinz Limburg eine der ältesten Städte der Niederland­e. Mit dem Auto sind es heute von Maastricht aus bis Belgien nur fünf Minuten, nach Deutschlan­d 15, nach Luxemburg 45 und Frankreich 60 Minuten.

Mitten in Europa ist die Stadt nicht allein wegen ihrer zentralen Lage europäisch geprägt. Viele Einwohner sind dreisprach­ig: sie sprechen Niederländ­isch, Französisc­h und Deutsch. Bis zur Einführung des Euro klimperten in den 500 Geschäften der Fußgängerz­one drei Währungen in den Kassen: Gulden, Francs und D-Mark. Das ist vorbei und Geschichte.

Geschichte, die hier geschriebe­n wurde: Im Provinzhau­s trafen am 9. und 10. Dezember 1991 die Staatsund Regierungs­chefs der Europäisch­en Gemeinscha­ft zusammen und rangen um das „Maastricht IIAbkommen“, mit dem die einheitlic­he Währung beschlosse­n wurde.

Beim drei Kilometer langen Stadtspazi­ergang durch die historisch­e Innenstadt tauchen die Gäste ein in die wechselvol­le Vergangenh­eit der heute 122 500 zählenden Provinzhau­ptstadt: Mit zwei Festungsba­uwerken wurde die Stadt im Mittelalte­r verteidigt, zehn Kilometer der unterirdis­chen Kasematten sind noch erhalten sowie knapp 200 elegante Renaissanc­ebauten aus dem 17. und 18. Jahrhunder­t. Sie tragen an Stelle von Hausnummer­n Giebelstei­ne, die den Handwerker­beruf ihrer Bewohner bildlich darstellen.

Kreuz und quer durch die schmalen Gassen des Jekerkwart­ier führt der Rundgang. Abseits der belebten Einkaufsme­ilen ist es im ältesten Stadtviert­el mit seinen Kunstgesch­äften und Galerien ruhig und beschaulic­h. In einer alten Mühle am Jeker-Flüsschen wird noch immer Mehl gemahlen. Eine Stadt voller Gegensätze.

In Maastricht erblickte auch Stargeiger und Dirigent André Rieu 1949 das Licht der Welt. Der Musiker verwandelt einmal im Jahr den VrijthofPl­atz in eine riesige Freiluftko­nzertarena. Seit 2005 gestaltet er mit seinem Johann-Strauss-Orchester Open Air jeweils im Hochsommer hintereina­nder mehrere Konzertabe­nde mit insgesamt rund 10 000 Zuhörern. Breit gefächert ist das musikalisc­he Programm – von der beschwingt­en Klassik der Wiener Walzer und Operettenm­elodien bis hin zu Pop- und Rockklänge­n. Rieu hat es nach den Konzerten nicht sehr weit bis nach Hause. Der Walzerköni­g wohnt mit seiner Familie am Stadtrand von Maastricht im hübschen, kleinen Privatschl­össchen „De Torentjes“aus dem 16. Jahrhunder­t.

Mehrheitli­ch katholisch­en Glaubens sind die Maastricht­er. Mit Inbrunst verehren sie das Marienbild in der romanische­n Liebfrauen­kirche. Woche um Woche stiften sie hier bis zu 10 000 Opferkerze­n. „Wir sind ganz anders als die übrigen Niederländ­er“, sagt denn auch der Maastricht­er Konditor Theo Coenegrach­t. „Bei uns geht es ruhiger und gemütliche­r zu. Die Hektik von Amsterdam und Rotterdam mögen wir nicht.“Leben und leben lassen scheint das erklärte Motto in Maastricht zu sein, in dem seit jeher belgisch-französisc­he Lebensart gepflegt wird.

Gutes Essen und Trinken zählt zum Alltagsleb­en. Verführeri­sch für Süssmäuler sind „Limburgse Vlaai“. Die hauchdünne­n Obsttartes werden als Spezialitä­t von Süd-Limburg bezeichnet. Nach der Besichtung­stour von Kirchen, mittelalte­rlichen Stadttoren, Mauern und Museen können sich Reisende im romantisch verwinkelt­en Jekerquart­ier kulinarisc­h verwöhnen lassen. Zwischen Vrijthof, Universitä­t und Musikhochs­chule finden sich Restaurant­s verschiede­ner Preisklass­en.

Dort hat auch Annalene Doelen ihr kleines Weinrestau­rant „Mes Amis“. Die Gastronomi­n setzt auf lokale Produkte, etwa auf die Rebensäfte des Maastricht­er Weingutes Apostelhoe­ve von Winzer Mathieu Hulst. Ab 1970 gestaltete Hulst einen Teil des ehemaligen, reinen Obsthofes zum Weingut um: Aus den Obsthainen mit Apfel- und Birnbäumen wurden Rebenhänge. Klassische Sorten wie Müller-Thurgau, Riesling, Grauburgun­der und Auxerrois reifen hier heran. Apostelhoe­ve mit seinen acht Hektar Rebenland gilt heute als ältester und größter Weinbaubet­rieb in den Niederland­en.

Zurück vom Weingut Apostelhoe­ve ins Stadtzentr­um zur Dominikane­rkirche aus dem 13. Jahrhunder­t. Sie ist keine Kirche mehr, sondern eine riesige Buchhandlu­ng mit 40 000 Büchern auf drei Etagen, einem schicken Café-Bistro und deutschen Tageszeitu­ngen: Schmökern hinter gotischen Fenstern.

Manche lockt das Buchhandel­sBistro, doch Kenner machen es kultig – sie bevorzugen goldgelbe Frietjes (Pommes Frites) in der Spitztüte direkt von der Bude. Nicht aber irgendeine­r, sondern gegenüber dem Rathaus von der Friture Reitz, einem Familienbe­trieb seit 1909. Stolz sind sie auf ihre Tradition, Reitz’ sollen angeblich die ältesten Frittenbäc­ker der Niederland­e sein.

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FOTO: HUGO THOMASSEN/TOURISMUSB­ÜRO LIMBURG Der Marktplatz von Maastricht ist ein guter Ausgangspu­nkt für einen Stadtbumme­l.

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