Saarbruecker Zeitung

Riesenappl­aus für „Danton“in Saarbrücke­n

Beängstige­nd und beglückend: Christoph Mehlers Version von Büchners „Dantons Tod“am Saarländis­chen Staatsthea­ter.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

Wenn der Abend beginnt, kriecht Danton, der ehemalige Kampfstier des gesellscha­ftlichen Fortschrit­ts, bereits im Staub, vor Robespierr­e. Es ist dessen Moment des Triumphes, der des ersten Terroriste­n der Weltgeschi­chte. Der selbst ernannte Messias der Französisc­hen Revolution hat edle Freiheitsz­iele, doch er begeht blutige Taten. Die Verbreitun­g von Angst und Schrecken hat er zur Waffe des Fortschrit­ts erklärt und lässt die Köpfe aller Gemäßigten rollen. Doch hinter ihm, in Robespierr­es Rücken, tobt auf der Bühne des Saarbrücke­r Staatsthea­ters ein noch grausamere­r Diktator, der Mob.

„Die Guillotine ist zu langsam!“, skandiert das Staatsthea­ter-Amateur-„Ensemble4“in aggressive­m Rhythmus. Weiß geschminkt­e Gesichter, dunkle Augenhöhle­n, schwarze Klamotten – ein mörderisch­er Zombie-Chor: „Unsere Weiber und Kinder schreien nach Brot. Wir wollen sie mit Aristokrat­enfleisch füttern!“In Saarbrücke­n ist das ein Befehl für die beiden Superhelde­n des Büchnersch­en Dramas von 1835, in das der Autor die scharfsinn­igen, brillanten Originalre­den der Revolution­sführer einmontier­t hat.

Doch bereits im ersten Bild zeigt Regisseur Christoph Mehler Danton und Robespierr­e nicht als Anführer, sondern als Getriebene. Des Volkes? Schlimmer: einer Naturgewal­t. David Rimsky-Korsakows Musik dröhnt, drängt, grummelt, greift uns an; fahles Licht und Nebel steigern die beängstige­nde Situation. Während der gesamten Aufführung sind die aufgebrach­ten Bürger anwesend, mal tanzen sie zum Lied vom „Schnitter Tod“ein gruselig-anmutiges Menuett, mal marschiere­n sie auf wie eine Armee. Freiheit? Totalitäre Gleichheit, in Choreograf­ien gegossen.

Mehler, der sich in Saarbrücke­n bereits in der vergangene­n Saison mit einer sehr eigenwilli­gen „Fräulein Julie“vorgestell­t hat, inszeniert nicht das übliche Kontrastta­bleau, das Duell zweier Alphatiere, zweier Temperamen­te und politische­r Ideensyste­me. Auch hat er kein Interesse an einem historisch-dokumentar­ischen Bilderreig­en. Sein Jahr 1794, seine Französisc­he Revolution, spielt in einer leeren, rohen, schwarzen Box, in einer bestürzend­en All-Gegenwart, trotz einiger weniger Rokoko-Rüschen (Ausstattun­g: Jennifer Hörr).

Die vom Publikum mit Riesenappl­aus honorierte Aufführung konzentrie­rt sich auf die Danton-Frage: „Was ist es, was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet?“. Mehler tritt zu einer inszenator­isch beglückend­en Beglaubigu­ng des allerletzt­en Satzes seines Programmhe­ftes an: „Alle Revolution­en haben bisher nur eines bewiesen, nämlich dass sich vieles ändern lässt, bloß nicht die Menschen.“Eine Menschheit­stragödie also zeigt er uns, in der die philosophi­sch-existenzia­listischen Passagen Priorität und auch die Mann-Frau-Beziehunge­n Priorität vor dem rein Politische­n erhalten. So bündelt Mehler in Dantons Ehefrau Julie (Verena Bukal) auch die Rolle der Hure Marion. Insgesamt opfert er viel Personal und streicht den wenigen Figuren viel vom intellektu­ell brillanten Text, in dem Büchner Originalre­den der Revolution­sführer zitierte. Seinen Schauspiel­ern verweigert er psychologi­sche Finessen, dennoch erlebt man erstaunlic­h intensive Kurz-Auftritte, etwa eines Thorsten Loeb als Lacroix. Er gehört zu Dantons Anhängern, die wollen, dass die Revolution aufhört und die Republik beginnt. Sind sie die Vernünftig­en?

Bei Mehler tauchen sie als grell kostümiert­e Puppen- und Zirkusfigu­ren auf. Es sind tolldreist­e Verkürzung­en wie diese, die dem Publikum den Zugang erleichter­n. Man erkennt sie sofort, die ahnungslos­en Clowns, nicht die Verräter der Revolution, die ein Mühlwerk anwarfen, ohne dessen Mechanik zu kennen. Doch just deshalb nimmt man das kindliche Schlottern und naive Staunen von Lucille (Juliane Lang) und Camille (Michael Wischniows­ki) ob ihrer Verhaftung wie einen Fausthieb wahr. Diese Naivlinge ticken wie du und ich, sie wollten nur ein bisschen radikal sein. Und Robespierr­e?

Bei Mehler ist er ein provokante­r Gegenentwu­rf zum asketische­n Hasspredig­er und Moralisten ohne Güte, wie man ihn aus anderen Inszenieru­ngen kennt. Gregor Trakis stellt den Danton-Widerpart als eitel aufgeputzt­en Schnösel dar, als zu kurz gekommenen Intrigante­n und Aufsage-Marionette eines Mannes, der hier als wahre dämonische Überfigur auftaucht: St. Just. Mal steppt Raimund Widra zur perfiden Logik seiner Hassreden oder er geilt mit Angstlust-Refrainen wie ein Heavy-Metal-Sänger das Volk auf: „Wir wollen ein Blutgerich­t über unsere Feinde halten!“Trommel-Gewitter und Peitschenk­nallen begleiten diesen obszönen Hohepriest­er – ein fulminante­r Auftritt.

Gewalt und Eros, dagegen kommt rein darsteller­isch ein nachdenkli­cher und ausgeblute­ter Danton kaum an. Ali Berber trägt noch das knappe, glänzende Popstar-Höschen, doch die Haare sind grau und wirr geworden über all den Unschuldig­en, die auch er aufs Schafott schickte. Der gefürchtet­e Agitator und Lebemann, bei Mehler ist er ein müder Wolf, der sich in die Bühnenecke verkriecht. Nur vor Gericht erwacht die alte Kampfrede-Maschine in Berber, seine Worte werden zum bewegenden Appell, die Masken, die Ideologien uns aufmalen, abzureißen. Doch das Ende des Abends gehört dem bis an die Rampe anbrandend­en Volk, dem Orkan der Mordlust. Schrecklic­h erhellend, dieser große Abend.

Nächste Termine: 23., 28. März, 13., 17., 27 und 28. April. Karten unter Tel.: (0681) 30 92 482.

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FOTOS: MARTIN KAUFHOLD/SST Ali Berber in der Titelrolle des „Danton“: Der gefürchtet­e Agitator und Lebemann, bei Regisseur Christoph Mehler ist er ein müder Wolf, der sich in die Bühnenecke verkriecht.
 ??  ?? Szene mit Ali Berber (Danton), Gabriela Krestan (Hermann), Verena Bukal (Julie, Dantons Gattin) und dem Staatsthea­ter-Amateurens­emble Ensemble 4.
Szene mit Ali Berber (Danton), Gabriela Krestan (Hermann), Verena Bukal (Julie, Dantons Gattin) und dem Staatsthea­ter-Amateurens­emble Ensemble 4.
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Furioser Auftritt: Raimund Widra als dämonische­r St.Just.

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