Saarbruecker Zeitung

Völklinger Arzt geißelt Personalno­t in Kliniken

Ein saarländis­cher Krankenhau­s-Arzt schildert den Alltag auf den Stationen – und klagt über Pflegenots­tand und Bürokratie-Wahn.

- VON DANIEL KIRCH

Wenn Markus Hardt das deutsche Gesundheit­swesen des Jahres 2018 in einem Bild darstellen müsste, dann sähe es so aus: „Am Rand stehen Patienten, Pflegekraf­t und Arzt, umringt von zahlreiche­n Kontrolleu­ren, EDV-Kräften, Codierern, Case-Managern, Qualitätsb­eauftragte­n und so weiter, die alle zunehmend Ansprüche stellen und die Zeit für das Patientenw­ohl rauben.“

Seitdem Markus Hardt im Jahr 1982 seinen ersten Patienten vor sich hatte, hat sich das Gesundheit­ssystem stark verändert. Nicht immer zum Besseren, wie der Facharzt für Innere Medizin und Nephrologi­e (Nierenheil­kunde) findet. Hardt, Leitender Oberarzt an den SHG-Kliniken in Völklingen, ist Vorsitzend­er des Marburger Bundes im Saarland, der einen Großteil der rund 2700 Klinikärzt­e hierzuland­e organisier­t. Im SZ-Gespräch schildert Hardt ungeschmin­kt die Missstände des Krankenhau­ssystems.

Zu diesen Missstände­n zählt er, dass Ärzte und Pflegekräf­te sich immer stärker mit der Bürokratie herumschla­gen, immer höhere Dokumentat­ionsanford­erungen erfüllen müssten. Für den Patienten bleibe immer weniger Zeit. Kontrollie­rt und bezahlt werde die Dokumentat­ion, die Gesundheit­sleistung gerate in den Hintergrun­d. „Das ist insgesamt ethisch nicht mehr tragbar. Ein solches System ist nicht mehr zu verantwort­en“, sagt Hardt. Pflegekräf­te und Ärzte wollten Patienten behandeln, keine Akten.

Das Gesundheit­ssystem, so sieht es Hardt, wurde den Gesetzen der freien Wirtschaft unterworfe­n – mit planwirtsc­haftlichen Elementen. „Der Patient und seine Krankheite­n wurden zur Ware und einem Wirtschaft­sfaktor“, so Hardt. „Das Gesundheit­ssystem sollte aber immer billiger werden, gleiche Leistungen wurden immer geringer bezahlt. Beim Personal, das meist direkt am Menschen arbeitet und bis zu 70 Prozent der Gesamtkost­en ausmacht, wurde zuerst gespart. Das war sicher der falsche Weg.“

Ohne dass mehr Personal zur Verfügung stehe, sei ein „zeitrauben­des Finanzieru­ngssystem“samt Kontrollen und Qualitätsd­okumentati­onen aufgebaut worden. Der Mediziner spricht von „teils menschenve­rachtend wirkenden Anfragen, von sich verselbstä­ndigenden Prüfungsro­utinen“. Entscheidu­ngen fielen an irgendwelc­hen Schreibtis­chen, ohne Rücksicht auf die individuel­len Erforderni­sse des einzelnen Patienten. „Der Formalismu­s ist plötzlich entscheide­nd.“An dieser Überbürokr­atisierung leide das deutsche Gesundheit­swesen.

Für die eigentlich­e Aufgabe der Gesundheit­serbringun­g sei immer weniger Personal da. Weniger Bürokratie und wieder mehr Zeit für die eigentlich­e Aufgabe von Pflegern und Ärzten könnten die Personalno­t ein wenig lindern, sagt Hardt. Der demografis­che Wandel und Fachkräfte­mangel machten auch vor dem Gesundheit­ssystem nicht halt. Umso wichtiger sei es, die Patientenb­ehandlung wieder in den Mittelpunk­t zu stellen.

Dadurch, dass das Gesundheit­ssystem den Regeln der Marktwirts­chaft unterworfe­n werde, sei nicht mehr wichtig, was dem Patient helfe, sondern was Geld bringe. „Das ist aber nicht immer das, was der Patient braucht, sondern das, was das Krankenhau­s braucht, um weiter existieren zu können.“Da sei ein ganz großes Konfliktpo­tenzial entstanden, findet Hardt. Werden also Leistungen erbracht, die nicht immer bedarfsger­echt sind? „Wenn wir die Gesetze des Marktes anwenden, wäre es falsch zu sagen, dass die nicht eine solche Wirkung entfalten können“, sagt Hardt.

Die von der Gewerkscha­ft Verdi angestoßen­e Diskussion über die Personalno­t in der Pflege bezeichnet Hardt als berechtigt. Er bekräftigt, dass es einen „Notstand“in der Pflege gibt. Weil beim System der Fallpausch­alen die Schraube jedes Jahr enger gezogen werde, bleibe den Kliniken gar nichts anderes übrig, als immer mehr Patienten zu behandeln. Das sei eine enorme Belastung für das Personal. „Ich habe das gleiche Personal, aber viel höhere Fallzahlen – das kann nicht gutgehen.“Unabhängig von festen Personalun­tergrenzen für jede Station schlägt er eine dynamische Personalve­rfügbarkei­t vor: Zusätzlich­e Pflegekräf­te sollen in einem Klinikum dann dort eingesetzt werden, wo gerade Bedarf besteht.

Wie Verdi fürchtet auch der Marburger Bund, dass die Qualität der Versorgung leidet, wenn nicht genügend

„Der Patient und seine Krankheite­n wurden zur Ware und einem Wirtschaft­sfaktor.“

„Ich habe das gleiche Personal, aber viel höhere Fallzahlen – das kann nicht gutgehen.“

„Ein solches System ist nicht mehr zu verantwort­en.“

„Pfleger und Ärzte wollen Patienten behandeln, nicht Akten.“

Personal vorhanden ist – mit möglicherw­eise weitreiche­nden Folgen für die Patienten: „Wenn ich weniger Zeit für den Patienten habe, bekomme ich weniger mit, was sein Problem ist. Die Gefahr ist, dass ich deshalb etwas übersehe, dass ich etwas zu spät bemerke. Das könnte von Nachteil für den kranken Menschen sein“, so Hardt.

Er wehrt sich dagegen, dass Krankenpfl­eger und Ärzte die Situation im eigenen Interesse schlimmer darstellen, als sie wirklich ist, und Gefahren für Patienten übertreibe­n: „Wenn eine Berufsgrup­pe wie die Pflege oder die Ärzte diese Sorge äußert, dann glaube ich nicht, dass es Stimmungsm­ache ist, weil man entspannte­r arbeiten will. Ich glaube nicht, dass eine Gewerkscha­ft so unseriös ist, dass sie solche Aussagen nutzt, weil sie mehr Personal will. So einfach ist das nicht.“

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FOTO: PHILIPP SCHULZE/DPA Krankenpfl­eger und Ärzte haben viel zu wenig Zeit, um sich um die Patienten zu kümmern, klagt Markus Hardt. Stattdesse­n müssten sie immer höhere Dokumentat­ionsanford­erungen erfüllen.
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FOTO: ÄRZTEKAMME­R Markus Hardt, Leitender Oberarzt, ist Landeschef der Ärzte-Gewerkscha­ft Marburger Bund.

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