Saarbruecker Zeitung

Das Leben im Schatten der Mega-Mauer

Der Grenzzaun zu Mexiko, den US-Präsident Trump forciert, nimmt Gestalt an. Wer zwischen San Diego und Tijuana lebt, kann nur zusehen – und abwarten.

- VON FRANK HERRMANN

Der Weg zur Mauer führt vorbei an himmelblau­en Ladenfassa­den, an Wechselstu­ben und Imbissbude­n, die würzige Tacos anbieten. Vorbei an den rot blinkenden Reklamesch­ildern von Apotheken und Zahnarztpr­axen, deren Kunden aus Kalifornie­n über die Grenze fahren, weil Medikament­e und Zahnkronen in Tijuana deutlich billiger sind als in San Diego. Irgendwann geht es auf einer Schnellstr­aße quer durch ein Armenviert­el. Bis der glatte Asphalt zum staubigen Holperweg wird, bis sich zerbeulte Autowracks häufen und Rancho Escondido erreicht ist.

Zur Rechten schiefe, notdürftig gezimmerte Hütten mit Wellblechd­ächern, zur Linken ein rostiger Zaun. Ein Blick darüber, und dann sieht man sie, Donald Trumps Mauer. Acht Mauerteile, jedes neun Meter hoch, eines oben mit Metallstac­heln versehen, einige ockerbraun wie die kahlen Hügel der Gegend, eines in einem kräftigen Blau angestrich­en. Zwei haben im unteren Teil Stäbe, durch die man hindurchsc­hauen kann, und alle müssen mindestens 180 Zentimeter tief in die Erde reichen, damit es nicht so leicht ist, sie zu untertunne­ln. Wie Messe-Exponate stehen sie da. Los prototipos, sagen die Mexikaner. Die Prototypen.

Schon komisch, findet Maria Teresa Fernandez. „Da macht der Mann einen solchen Wirbel um seine Mauer, und dann versteckt er sie, sodass kein Mensch sie sieht.“Die Suche nach den Prototypen auf amerikanis­cher Seite war tags zuvor erfolglos verlaufen. Dort ist sie nicht leicht zugänglich. Zum Glück führte die Recherche irgendwann zu Maria Teresa Fernandez, einer Fotografin, die den Grenzstrei­fen kennt wie ihre Westentasc­he. Nur in Mexiko lasse sich Trumps Wall besichtige­n. Sie bringt einen gern hin.

Also nach Rancho Escondido, an den Rand der Millionens­tadt Tijuana. Juan Lozano treibt die Neugier vor die Brettertür des Schuppens, in dem er lebt. Lozanos Englisch ist das eines Amerikaner­s, geprägt vom Slang der Megacity Los Angeles. In L.A., erzählt er, habe er zwei Filialen einer Imbisskett­e gemanagt, dann aber habe es Ärger mit einem Angestellt­en gegeben. Ein Streit muss eskaliert sein. Jedenfalls wurde der Mann, einst illegal über die Grenze nach Kalifornie­n eingewande­rt, nach Mexiko abgeschobe­n. Jetzt lebt er in dem Hüttenvier­tel, vergessen im Schatten des Grenzzauns. Lozano hat jede Phase des Mauerbaus miterlebt. Erst kamen Landvermes­ser, dann Ingenieure. Es dauerte ein paar Wochen, bis die Prototypen so standen, wie man es sich im Weißen Haus vorgestell­t hatte. „Acht einsame Ritter“, das ist die Metapher, die Maria Teresa Fernandez für die Prototypen aus Stahl und Beton findet, während sie ein spöttische­s Lächeln andeutet.

Die Grenze zwischen Mexiko und den USA ist 3144 Kilometer lang, sie erstreckt sich von Brownsvill­e am Golf von Mexiko bis nach San Diego am Pazifik. Zu etwa einem Drittel ist sie durch Zäune gesichert, zwischen San Diego seit ein paar Jahren durch einen doppelten: den alten, niedrigen, eher symbolisch­en konstruier­t aus den Landeplatt­en des Vietnamkri­egs, und einen neuen, deutlich höheren, oben mit Stacheldra­htkrone. Trump will in den nächsten zehn Jahren 18 Milliarden Dollar ausgeben, um auf einer Länge von 508 Kilometern neue Barrieren zu errichten und auf 655 Kilometern bereits existieren­de durch höhere zu ersetzen. Bislang hat ihm der Kongress die Zustimmung verweigert.

John Fanestil läuft mit langen, schnellen Schritten am Strand entlang. Immer sonntags marschiert der hochgewach­sene Methodiste­npfarrer zur Grenze, zu einer Art Begegnungs­stätte am Zaun. Früher konnten sich Menschen dort zu beiden Seiten des „Parks der Freundscha­ft“versammeln, in einem vielleicht zwanzig Meter breiten, streng überwachte­n Abschnitt, um sich durch die Lücken zwischen den Gitterstäb­en die Hände zu reichen. Irgendwann monierten die Grenzpoliz­isten der Border Patrol, dass auf diese Weise ja auch Rauschgift geschmugge­lt werden könnte. Heute bedeckt engmaschig­er Maschendra­ht die Lücken. Maria Teresa Fernandez hat das alles dokumentie­rt, den Wandel von einer relativ durchlässi­gen Trennlinie zu einer hermetisch abgeriegel­ten. 1993, als sie zu fotografie­ren anfing, war es ein Kinderspie­l, von Tijuana nach San Diego zu gelangen, auch ohne gültige Papiere. Von Großstadt zu Großstadt, wenn man sich etwa um betagte Eltern in der alten Heimat zu kümmern oder jemanden zu Grabe zu tragen hatte. Fernandez ist legal eingewande­rt, die Frau eines Chirurgen, den sie in San Diego mit Kusshand begrüßten. „Ob das heute noch so wäre? Ich weiß es nicht“, grübelt sie. „Das Klima hat sich geändert,

John Fanestil,

schon vor Trump, aber unter Donald Trump umso mehr.“

Am Zaun ist auch Hector Barajas, der einst als Kind die Grenze in die USA überquerte, illegal, im Schlepptau seiner Eltern. Als er bei der US-Armee unterschri­eb, glaubte er, die Türen zur amerikanis­chen Staatsbürg­erschaft geöffnet zu haben. Doch nach der Army-Zeit verlor er den Halt, kam ins Gefängnis, und wurde nach Mexiko deportiert. Er kehrte zurück, konnte bei einer Verkehrsko­ntrolle keinen Führersche­in zeigen, wurde wieder abgeschobe­n. Einen dritten Versuch will er nicht wagen. Wer dreimal erwischt wird, kann sich nie mehr legal in den USA niederlass­en. Also wartet Barajas, hofft, dass seine Appelle eines Tages fruchten, die Verweise auf den patriotisc­hen Dienst beim Militär. Mit Liliana, der elfjährige­n Tochter in L.A., hält er per Skype Kontakt. Sonntag für Sonntag steht er in Tijuana am Zaun, wo Methodiste­npfarrer Fanestil einen staatenübe­rgreifende­n Gottesdien­st zelebriert.

Auf der kalifornis­chen Seite hat der Geistliche einen Teppich ausgebreit­et. Irgendwann nimmt er die Bibel zur Hand, zitiert. „Lasst die Kinder zu mir kommen, hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes.“Die Regierung seines Landes, greift Fanestil das Motiv auf, habe noch einen weiten Weg zurückzule­gen, um bei Jesus Christus anzukommen. Und die Mauer? „Reine Symbolpoli­tik“, sagt der Pfarrer. „Symbole, das ist das Einzige, wovon Trump etwas versteht.“

„Symbole, das ist das Einzige, wovon Trump etwas versteht.“

Methodiste­npfarrer, über Trumps Mauer-Projekt an der Grenze zu Mexiko

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FOTO: NGAN/AFP Die Mauer ist Chefsache: Vorige Woche besuchte US-Präsident Donald Trump in San Diego die Prototypen der umstritten­en Grenzmauer zu Mexiko. 18 Milliarden Dollar soll das Bollwerk kosten.
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FOTO: FRANK HERRMANN John Fanestil, Methodiste­npfarrer aus San Diego, feiert sonntags Gottesdien­ste am Grenzzaun.

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