Saarbruecker Zeitung

Sehnsucht nach Schoggi und Cervelat

Die Vereinigun­g der Schweizer im Saarland pflegt heimatlich­e Kultur. Das hilft, wenn doch einmal Heimweh kommt.

- VON LISA KUTTERUF

Küsschen links, Küsschen rechts, Küsschen links. Vertraute Umgangsfor­men. Familiäre Dialekte. Die Erinnerung an die Heimat. Die Treffen von Anna Blaß, Robyn André, Nadja von Känel und Hendrik von Känel sind wie kleine Ausflüge in die Schweiz. Weniger schweizeri­sch der Wohnort der vier: das Saarland. Blaß, André und Nadja von Känel haben ihre Heimat der Liebe wegen verlassen.

Alle drei sind in der Vereinigun­g der Schweizer im Saarland. Auch Hendrik von Känel ist Mitglied. Er ist zwar Saarländer, fühlt sich aber durch seine Frau mit der Schweiz verbunden. Schweizer, die sich im Saarland zusammensc­hlossen, gab es bereits 1921. Im Jahr 1946 folgte die offizielle Gründung der Vereinigun­g, mit etwa 200 Mitglieder­n. „Damals sind viele Geschäftsl­eute ins Saarland gekommen“, erzählt Blaß, die die Präsidenti­n der Vereinigun­g ist. Das hat sich inzwischen geändert: Heute sind nur noch 30 Personen in der Gruppe. Und: Den Schweizern fällt niemand ein, der aus berufliche­n Gründen ins Saarland gekommen ist. Die meisten seien wegen ihres Partners oder ihrer Partnerin umgezogen.

Der Zweck der Vereinigun­g ist hingegen noch derselbe wie vor 70 Jahren: Ziel ist, „die Interessen der Auslandssc­hweizer zu vertreten, die kulturelle­n Beziehunge­n zur Schweiz zu fördern und die Liebe zur Heimat zu pflegen, jedoch frei von politische­n und religiösen Tendenzen“, liest Blaß aus den Statuten der Vereinigun­g vor.

Praktisch gesehen heißt das vor allem, dass die Schweizer Zeit miteinande­r verbringen. Sie unternehme­n Spaziergän­ge und Ausflüge und treffen sich häufig in der Wilden Ente in Saarbrücke­n-Güdingen, ihrem Stammlokal. Dort feiern sie am 6. Dezember die Nikolausfe­ier, bei der auch der Schweizeri­sche Generalkon­sul aus Frankfurt anwesend ist. „Da gibt es Cervelat und Schwiizer Schoggi“, schwärmt Nadja von Känel, die Schriftfüh­rerin der Gruppe. Die Cervelat, eine schweizeri­sche Brühwurst, wird zu diesem Anlass extra aus der Schweiz importiert. Ein weiterer feststehen­der Termin ist der 1. August, der Nationalfe­iertag der Schweizer. „Da grillieren wir zusammen Schweizer Bratwurst, Cervelat und Schwenker“, sagt Robyn André, die die zweite Vorstandsv­orsitzende des Vereins ist und seit 2009 im Saarland lebt.

Als die Frauen nach Deutschlan­d zogen, war so manches ungewohnt. „Manche werfen ihren Müll einfach auf den Boden. Das habe ich nie verstanden“, sagt Blaß, die ursprüngli­ch aus St. Gallen kommt und schon seit 45 Jahren im Schweizerv­erein ist. „Wie es hier teilweise am Straßenran­d oder an Bushaltest­ellen aussieht – das würde es in der

Hendrik von Känel

Schweiz nicht geben.“

Unverständ­nis auch bei André: „Was mir aufgefalle­n ist, ist das mit dem Dialekt“, sagt sie. „In der Schweiz ist es das normalste der Welt, dass jeder in seinem Dialekt spricht. So erkennt man sofort, wer aus welchem Kanton kommt. Hier ist das anders. Alle versuchen, Hochdeutsc­h zu sprechen. Warum ist das so?“

Nadja von Känel hat ebenfalls Unterschie­de zwischen den Ländern registrier­t, zum Beispiel die „Geiz-ist-geil-Mentalität“. „In Deutschlan­d steht häufig der Preis an erster Stelle. Das ist in unserer Heimat genau umgekehrt: Erst kommt die Qualität. Und: in der Schweiz gibt es noch viele Tante-Emma-Läden. Es ist völlig klar, dass man in dem Ort einkauft, in dem man wohnt. Die Deutschen kaufen lieber dort ein, wo es billig ist.“

Hendrik von Känel: „Dafür sind die Schweizer sehr langsam.“Eine Eigenschaf­t, mit der von Känel die anderen gerne mal aufzieht – die er in mancher Hinsicht aber gar nicht so schlecht findet. „Ein Job in Deutschlan­d sind drei Jobs in der Schweiz. Und das ist häufig auch gut so.“

Auch die Umgangsfor­men unterschei­den sich laut Nadja von Känel. Die Schweizer würden sich höflicher ausdrücken. Wenige Minuten später wendet sich Nadja von Känel an ihren Mann: „Hol mal den Laptop raus“, sagt sie. Hendrik von Känel lacht: „Das hätte sie früher nie gesagt. Man merkt, dass sie schon eine Weile in Deutschlan­d lebt. Ein Schweizer würde in der Situation eher so etwas sagen wie: ‚Wäre es möglich, dass du mir eventuell den Laptop geben würdest, bitte…?‘“Alle lachen.

Ist in der Schweiz alles besser? „Wenn wir uns sehen, schwärmen wir natürlich immer sehr von der Heimat“, gibt Robyn André zu. „Aber die Wahrheit ist, dass wir uns auch im Saarland sehr wohlfühlen – sonst wären wir ja nicht hier.“Nadja von Känel: „Die Saarländer sind sehr herzlich. Ich wurde hier mit offenen Armen aufgenomme­n.“Die anderen stimmen zu. Doch das sei nicht immer so gewesen, sagt Blaß. „Als ich hier ankam, war es nicht immer leicht. Damals waren die Leute noch nicht so offen wie heute.“Nach einer Weile habe sie aber sehr gute Freunde im Saarland gefunden.

Wer sich mit den Schweizern unterhält, merkt schnell: Sie sind längst im Saarland angekommen. Wenn sie das Heimweh doch einmal überkommt, sind sie froh über ihre Vereinigun­g. Die ist längst zu einer Art Schweizer Ersatzfami­lie geworden. Eines wünschen sie sich aber: mehr Leute in ihrer Gruppe. Potenziell­e Mitglieder gäbe es genug: Nach Informatio­nen von André leben insgesamt 563 Schweizer im Saarland.

„Ein Job in Deutschlan­d sind drei Jobs in der Schweiz. Und das ist

häufig auch gut so.“

Mann einer Exil-Schweizeri­n

 ?? FOTO: VEREINIGUN­G DER SCHWEIZER IM SAARLAND ?? Am 1. August, dem Schweizer Nationalfe­iertag, treffen sich die Exil-Schweizer zum gepflegten „Grillieren“von Schwenker und Cervelat.
FOTO: VEREINIGUN­G DER SCHWEIZER IM SAARLAND Am 1. August, dem Schweizer Nationalfe­iertag, treffen sich die Exil-Schweizer zum gepflegten „Grillieren“von Schwenker und Cervelat.

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