Saarbruecker Zeitung

Protestwel­le mit großer Wirkung

Eine neue Doku zeigt, wie Menschen in Deutschlan­d gegen den Kalten Krieg demonstrie­rten.

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SAARBRÜCKE­N (ry) Das nukleare Gerassel zwischen Nordkorea und den Vereinigte­n Staaten von Amerika weckt bei vielen Menschen Erinnerung­en an die Zeit, als der „Kalte Krieg“Millionen Deutsche auf die Straßen trieb, um im „Heißen Herbst“gegen neue Atomwaffen in Europa zu demonstrie­ren. Kürzlich freigegebe­ne, ehemals streng geheime Dokumente belegen: 1983 ereignete sich mitten in Deutschlan­d eine zweite Kuba-Krise. Nur Minuten trennten die Welt von einem Atomkrieg, der Deutschlan­d zum letzten Schlachtfe­ld gemacht hätte. ARD-Autor Andreas Orth erinnert mit seiner Zeitreise an diese Jahre, die Deutschlan­d auch spalteten. Es ging damals vor allem um die Stationier­ung neuer sowjetisch­er und amerikanis­cher Mittelstre­ckenrakete­n. Es war die größte Protestwel­le gegen eine Entscheidu­ng des Bundestage­s in der Geschichte der Bundesrepu­blik. Auch die Popmusik wurde von der Angst vor einem Atomkrieg geprägt. Gruppen wie Genesis, Alphaville und Boney M spiegelten die Furcht vor dem nuklearen Desaster in ihren Songs.

Mit Stricknade­ln, Sitzblocka­den, Menschenke­tten und Latsch-Demos mobilisier­ten vor allem kirchliche Gruppen und 5000 lokale Friedensin­itiativen gegen die atomare Aufrüstung. Sie sahen die Welt und besonders Deutschlan­d am Rand des Untergangs. Die Stasi versuchte, an manchem Friedensma­nifest im Westen mitzuwirke­n, bekämpfte aber die Friedensbe­wegung, die sich damals auch in der DDR bildete und die – wie man heute weiß – einen starken Einfluss auf die Wende hatte. Andreas Orth begibt sich auf Spurensuch­e, besucht die alten Friedensak­tivisten aus Mutlangen, dem Hunsrück und der Kleinstadt Nottuln bei Münster, die heute noch aktiv sind. Sie erzählen, wie sie es damals – ganz ohne Facebook und soziale Medien – schafften, die Straßen in Stadt und Land zu erobern. Auch der legendäre Spielfilmr­egisseur Edgar Reitz schildert seine Erfahrunge­n mit der Friedensbe­wegung während der Dreharbeit­en für seine „Heimat“-Trilogie.

Als der damalige US-Präsident Ronald Reagan und Russlands Staatschef Michail Gorbatscho­w die Verträge über die Abrüstung der Mittelstre­ckenrakete­n schlossen, dünnte die Friedensbe­wegung aus. Die gewaltigen Bunkeranla­gen für die nuklearen Marschflug­körper im Hunsrück dienen heute als Bühne für das Technofest­ival Nature One. In den Atombunker­n von Mutlangen lagert heute Streusalz für die Gemeinde. Doch 30 Jahre nach dem Inkrafttre­ten der Abrüstungs­verträge droht neue Gefahr durch den eingangs erwähnten Streit.

Als die Atombomben Deutschlan­d veränderte­n, 23.30 Uhr, ARD

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FOTO: NDR/ANDREAS ORTH Lange nicht gezeigt: So sah ein Transparen­t einer Demonstrat­ion im Hunsrück aus. Die Menschen wollten damit ihren Unmut über die Ereignisse der damaligen Zeit kundtun.

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