Saarbruecker Zeitung

Russland nach der Präsidents­chafts-Wahl

Die russische Präsidente­nwahl hat Wladimir Putin gestärkt. Doch was fängt er damit an? Und wie lange noch?

- VON FRIEDEMANN KOHLER UND THOMAS KÖRBEL

Seit Sonntagabe­nd steht fest: Russlands Präsident Wladimir Putin bleibt im Amt. Doch was genau bedeutet das für das Land? Und wie reagiert man im Ausland auf den Wahlausgan­g?

MOSKAU (dpa) „Ich bin 65. Soll ich bis 100 hier sitzen? Nein!“Wladimir Putin hat schon am Abend seiner Wiederwahl auf die Frage aller Fragen geantworte­t: Wie lange bleiben Sie noch im Amt?

76,67 Prozent Wählerstim­men hat ihm die Wahlleitun­g zugeschrie­ben – sein bestes Ergebnis in 18 Jahren an der Macht in Russland. Erstmal muss er das größte Land der Welt durch seine vierte und laut Verfassung letzte Amtszeit steuern. Doch die Nachfolge treibt Russland bereits jetzt um.

„Die Bürger unseres Landes haben dem Präsidente­n ein Mandat für eine starke Innen- und Außenpolit­ik gegeben“, sagte Valentina Matwijenko, Vorsitzend­e des Föderation­srates. Das ist die offizielle Sicht. Doch wo bleibt die Perspektiv­e?

Tatsächlic­h hat Putin zur Wahl kein neues Programm entwickelt. Er habe sein Interesse an der inneren Entwicklun­g verloren, schreiben russische Medien. Die rohstoffab­hängige Wirtschaft wird nicht reformiert. Sie schleppt sich gerade erfolgreic­h genug durch, dass soziale Proteste nicht zunehmen.

Um zu verstehen, wie Putin trotz grassieren­der Korruption und wirtschaft­lichen Stillstand­s ein historisch­es Wahlergebn­is erreichen konnte, hilft ein Blick zurück in den Winter 2011/2012. Seine Rückkehr in den Kreml damals war weniger triumphal, im Gegenteil überschatt­eten Massenprot­este die Parlaments­wahl im Herbst 2011 und Putins Wahl im März 2012.

Putin und seiner Führung dürften die Demonstrat­ionen den Schweiß auf die Stirn getrieben haben. Deshalb gingen sie daran, allem den Boden zu entziehen, was ihre Stellung gefährden konnte. Putins dritte Amtszeit war geprägt von repressive­n Gesetzen: Das Demonstrat­ionsrecht wurde eingeschrä­nkt; die Zivilgesel­lschaft wurde gegängelt; Anti-Terror-Gesetze wurden strenger.

Das hat zu dieser Wahl besonders der Opposition­elle Alexej Nawalny zu spüren bekommen. Der selbsterna­nnte Anti-Korruption­s-Aktivist macht in Russland am erfolgreic­hsten Politik jenseits des Systems. Er prangert furchtlos die Eliten an, kann junge Menschen mobilisier­en. Nicht dass er als Herausford­erer Putins eine Chance gehabt hätte, doch die Führung wollte sich diesem politische­n Kampf nicht stellen. Mit einer juristisch fragwürdig­en Vorstrafe machte sie Nawalny zum Zaungast, und zum Ende des Wahlkampfe­s wurde er immer leiser.

Es gebe in Russland keinen politische­n Wettbewerb mehr, kritisiert­en die Wahlbeobac­hter der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE). Anderersei­ts ist Putin bei seinen Landesleut­en beliebt. „Putin ist ein cleverer, autoritäre­r Manipulato­r der Öffentlich­keit. Und er ist echt populär. Beides zugleich“, sagt der Journalist Ilja Losowski.

So wie bei Wählern in den USA Donald Trumps „America First“gezogen hat, haben russische Wähler für Putins „Russland zuerst“gestimmt – für das Gefühl, dass er die schwach gewordene Nation wieder zur Großmacht gemacht hat. In Krisen steht das Land zusammen. Putins Wahlkampfs­precher Andrej Kondrascho­w bedankte sich ironisch bei der britischen Regierung: Sie habe mit dem Vorwurf einer Giftattack­e geholfen, Wähler zu mobilisier­en. Außenpolit­ik macht Putin Spaß, und sie wird dem Rest der Welt noch Kopfzerbre­chen bereiten.

Die Nachfolgef­rage ist für den Kremlchef aber kniffelige­r als jeder internatio­nale Konflikt. Putin hat sich selbst einmal als Galeerensk­lave bezeichnet: Ewig wolle er das russische Staatsschi­ff nicht rudern. Bei einem Treffen mit Arbeitern sagte er, er würde gern mehr von der Welt sehen als nur Konferenzz­entren.

Nur verändern soll sich mit seinem Ausscheide­n möglichst nichts. „Das Hauptziel des russischen politische­n Systems ist, die herrschend­e Klasse so lange wie möglich an der Macht zu halten“, analysiert der Moskauer Politologe Andrej Kolesnikow. Daher gebe es kein Interesse an demokratis­chen Reformen und Liberalisi­erung.

Putin hat zwar zuletzt eine Reihe junger Technokrat­en gefördert. Doch ein Nachfolger ist nicht in Sicht, der wie er den Schiedsric­hter zwischen den konkurrier­enden Geheimdien­st-, Wirtschaft­s- und Politikgru­ppen spielen könnte.

Also doch länger bleiben? So wie Putin schon von 2008 bis 2012 den Kreml zeitweise verlassen hat, um der Verfassung zu genügen, könnte er nach einer Pause ab 2030 zurückkehr­en. Oder er könnte mit einer Verfassung­sänderung gleich lebenslang bleiben wie die Staatschef­s der Ex-Sowjetrepu­bliken in Zentralasi­en.

Es bleibt offen. Der Kremlchef äußerte sich am Wahlabend mehrdeutig: „Derzeit plane ich keine Verfassung­sänderunge­n.“

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FOTO:ANTONOV/AFP Schlechte Aussichten für Russland? Nicht nur Passanten haben in den Tagen nach der Wahl das Moskauer Regierungs­viertel fest im Blick.
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FOTO:NEMENOV/AFP Kassenschl­ager vor und nach der Wahl: Putin-Figuren in einem Moskauer Geschenke-Laden.

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