Saarbruecker Zeitung

Vier Milliarden Euro gegen die Langzeitar­beitslosig­keit

Die neue Groko will viel Geld in einen sozialen Arbeitsmar­kt stecken. Im Saarland, wo dieser schon lange gefordert wird, gibt es dafür Beifall. Aber auch Mahnungen.

- VON STEFAN VETTER UND FRAUKE SCHOLL

BERLIN/SAARBRÜCKE­N Der brummende Jobmotor nimmt nicht jeden mit. Obwohl die Arbeitslos­igkeit in Deutschlan­d in den letzten Jahren insgesamt deutlich zurückgega­ngen ist, hat sich an der Zahl der Langzeitar­beitslosen nur wenig geändert. Aktuell sind knapp 900 000 Menschen betroffen – das heißt, länger als zwei Jahre arbeitslos. Im Saarland sind es etwa 11 000. In ihrer neuen Koalitions­vereinbaru­ng streben Union und SPD in der Bundesregi­erung nun „Vollbeschä­ftigung“an – und einen großen Wurf in Sachen Langzeitar­beitslose.

Mit einem Kostenaufw­and von immerhin vier Milliarden Euro sollen in den nächsten dreieinhal­b Jahren bis zu 150 000 Betroffene in ein sozialvers­icherungsp­flichtig bezuschuss­tes Arbeitsver­hältnis vor allem bei Kommunen und gemeinnütz­igen Einrichtun­gen kommen. Idee dieses „Passiv-Aktiv-Transfers“ist es, passive Sozialleis­tungen in aktiven Lohn umzuwandel­n, um so mehr Teilhabe zu schaffen. Es gehe darum, Langzeitar­beitslosen eine „langfristi­ge Perspektiv­e auf einem sozialen Arbeitsmar­kt anzubieten“. Mit diesen Worten bekräftigt­e der neue Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) gestern noch einmal das Vorhaben.

Der Vizedirekt­or des Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB), Ulrich Walwei, hält diesen Kursschwen­k im Grundsatz für sinnvoll. „Realistisc­herweise muss man sagen, dass ein Teil der erwerbsfäh­igen Menschen schon so weit weg ist vom Arbeitsmar­kt, dass es erst einmal eine persönlich­e Stabilisie­rung braucht. Das geht mit einem sozialen Arbeitsmar­kt“, sagte er der SZ. Nach IAB-Schätzunge­n handelt es sich um bis zu 200 000 Betroffene. Allerdings, so Walwei, komme es sehr auf die Ausgestalt­ung der schwarz-roten Pläne an.

Bereits am Wochenende hatten Experten davor gewarnt, sich mit bloßer Beschäftig­ungstherap­ie zu begnügen. Damit gebe man das Ziel preis, die Betroffene­n irgendwann wieder in reguläre Arbeit zu integriere­n, meinte etwa der Wirtschaft­sweise Christoph Schmidt. Gestern meldete sich auch die FDP zu Wort. Die Pläne der Groko würden „in eine Sackgasse führen und die Abhängigke­it von staatliche­n Leistungen zementiere­n“.

Auch Walwei sieht diese Gefahr. „Sinn der Arbeitsmar­ktpolitik kann nicht sein, die Leute auf dem sozialen Arbeitsmar­kt zu parken“. Vielmehr müsse „regelmäßig nach einem bestimmten Zeitraum, zum Beispiel nach 18 Monaten, überprüft werden, ob ein Betroffene­r auch auf dem ersten Arbeitsmar­kt Fuß fassen könnte“. Eine drohende Konkurrenz von öffentlich geförderte­r Beschäftig­ung gegenüber regulären Jobs sieht Walwei nicht. Hier müssten sich die Kommunen mit der Wirtschaft zusammense­tzen. „Allerdings sollte man auch die Kirche im Dorf lassen: Es geht um Personen, die aufgrund ihrer persönlich­en Umstände zunächst einmal wenig produktiv sind. Daher stellen sie auch keine übermäßige Konkurrenz für die private Wirtschaft dar“.

Der Bundesrats­präsident und Regierende Bürgermeis­ter von Berlin, Michael Müller (SPD), kann sich sogar vorstellen, dass Langzeitar­beitslose künftig nicht nur einfache Hilfsjobs erledigen, sondern auch anspruchsv­ollere Tätigkeite­n wie etwa Schulsekre­tärin oder Betreuer von Kindern und Jugendlich­en. Hier warnte Walwei jedoch vor überzogene­n Erwartunge­n: „Das sind Tätigkeite­n, die eine Qualifikat­ion voraussetz­en. So etwas kann man nicht Beschäftig­ungsgesell­schaften überlassen“.

Auch im Saarland, wo der soziale Arbeitsmar­kt seit langem auf der Agenda steht und das sich bereits mehrfach als Modellregi­on angeboten hat, kommen die Groko-Pläne grundsätzl­ich gut an. Mit dem Modell, das Teilhabe und sinnstifte­nde Arbeit verbinde, „wird eine Forderung aufgegriff­en, die ich seit langem vertrete“, erklärte Saar-Wirtschaft­sministeri­n Anke Rehlinger (SPD). Allerdings sei das Programm „nur ein erster Schritt in die richtige Richtung“. Eine Teilhabe am Arbeitsmar­kt dürfe sich nicht nur auf 150 000 Hilfebedür­ftige beschränke­n, sagte Rehlinger, auch angesichts der berufliche­n Integratio­n von Geflüchtet­en mit Bleiberech­t.

Die Förderquot­e empfindet auch der Sozialverb­and VdK Saarland als „nicht ausreichen­d“. Zwar sei das Paket gegen Langzeitar­beitslosig­keit zu begrüßen. Allerdings müsse sichergest­ellt werden, dass nicht nur Niedrigloh­njobs gefördert werden, erklärte der Verband. Zudem dürfe die Maßnahme nicht befristet sein, sondern müsse dauerhaft öffentlich geförderte Arbeitsplä­tze schaffen.

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