Saarbruecker Zeitung

EU-Außenminis­ter stellen sich demonstrat­iv an die Seite Londons

Nach dem Giftgas-Anschlag von Salisbury verzichten die Chefdiplom­aten allerdings vorerst noch auf eine strikte Verurteilu­ng Moskaus.

- VON DETLEF DREWES

BRÜSSEL So scharf formuliere­n die Außenminis­ter der Gemeinscha­ft wahrlich nicht oft. Aber der Giftgas-Anschlag vom 4. März in Großbritan­nien auf den russischen Ex-Spion Sergej Skripal und seine Tochter hat Europa erschütter­t. Und so versichert­en die Chefdiplom­aten denn auch ohne lange Diskussion den Briten ihre „uneingesch­ränkte Solidaritä­t“. Die EU sei „schockiert“über den „ersten offenen Einsatz“eines militärisc­hen Nervengift­s „auf europäisch­em Boden seit mehr als 70 Jahren“heißt es in einer Erklärung, die gestern verabschie­det wurde.

Bei der Frage der Urhebersch­aft für den Anschlag blieben die Außenamtsc­hefs aber doch zurückhalt­end schwammig. Man nehme die Einschätzu­ng Großbritan­niens sehr ernst, dass höchstwahr­scheinlich Russland für den Anschlag verantwort­lich sei, formuliert­en sie. „Alle Informatio­nen, die wir haben, deuten darauf hin, dass es keine alternativ­e plausible Erklärung dafür gibt, dass auch hier eine Mitverantw­ortung der russischen Seite besteht“, betonte Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD). Sollte Großbritan­nien als Reaktion auf den Anschlag vom 4. März Sanktionen fordern, würden diese in der EU diskutiert.

Doch dazu kam es nicht. Zwar erregte sich Außenminis­ter Boris Johnson heftig über das Verhalten Moskaus: „Die russischen Dementis werden immer absurder“, sagte er. Erst gäben die Russen an, sie hätten den gefundenen Kampfstoff Nowitschok nie produziert. Dann heiße es, man habe ihn produziert, aber alle Bestände vernichtet. Und schließlic­h betonte Moskau, dass Teile des Giftes nach Schweden, Tschechien, in die Slowakei und die USA sowie Großbritan­nien gelangt seien. Johnson: „Das ist die russische Strategie, einen Funken Wahrheit in einem Haufen von Lügen und Vernebelun­g zu verstecken.“

Tatsächlic­h rüstete aber auch der Londoner Minister verbal ab. Die Regierung der Insel will ebenso wie die übrige EU die Untersuchu­ng der Experten der Organisati­on für das Verbot chemischer Waffen( O PC W) in Den Haag abwarten. Deren Spezialist­en trafen gestern in Salisbury ein. Normalerwe­ise, so hatten Fachleute vorab betont, habe jedes Nervengift so etwas wie einen Fingerabdr­uck, mit dem zweifelsfr­ei geklärt werden könne, woher es stammt. Doch in Brüssel wachsen auch erste Zweifel. Zu deutlich habe sich der alte und neue russische Präsident Wladimir Putin am Sonntagabe­nd nach seiner Wahl geäußert. Die erhobenen Vorwürfe seien „Unsinn“und „Blödsinn“, sagte Putin. Es sei „Quatsch“zu denken, dass sich irgendjema­nd in Russland vor der Wahl undv order Fußb all-Weltmeiste­rschaft im eigenen Land eine solche Tat erlaubt hätte.

Ob die Fachleute und Sicherheit­sbehörden tatsächlic­h schnell mit Ergebnisse­n zur politische­n Entspannun­g oder Eskalation beitragen können, gilt als keineswegs sicher. Hochrangig­e Mitarbeite­r der britischen Polizeibeh­örde Scotland Yard sagten gestern, es könne Monate dauern, bis zweifelsfr­ei feststehe, wer hinter dem Anschlag stecke. Und auch die Untersuchu­ngen des Nervengift­es sei „keine Frage von wenigen Tagen“. So blieb gestern noch unklar, wie sich die Staats- und Regierungs­chefs der EU positionie­ren werden, wenn sie Ende dieser Woche in Brüssel zu ihrem Gipfeltref­fen zusammenko­mmen. Die Beziehunge­n zu Moskau stehen mit auf der Tagesordnu­ng.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Die Ermittlung­en im Fall der Gift-Attacke laufen auf Hochtouren. Hier wird ein Abschleppw­agen für Untersuchu­ngen abtranspor­tiert. Mit ihm wurde offenbar das Auto des vergiftete­n russischen Ex-Spions abgeschlep­pt.
FOTO: IMAGO Die Ermittlung­en im Fall der Gift-Attacke laufen auf Hochtouren. Hier wird ein Abschleppw­agen für Untersuchu­ngen abtranspor­tiert. Mit ihm wurde offenbar das Auto des vergiftete­n russischen Ex-Spions abgeschlep­pt.

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