Saarbruecker Zeitung

Der Bundespräs­ident hat seine Rolle gefunden

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Sehr wahrschein­lich hat Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier seinen wichtigste­n Satz schon im jetzt abgelaufen­en, ersten Jahr seiner Amtszeit gesagt: „Wer sich in Wahlen um politische Verantwort­ung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält.“Das war am 20. November 2017, am Tag nach dem krachenden Ende der Jamaika-Gespräche und nach der erneuten Ankündigun­g der SPD, in keine große Koalition eintreten zu wollen.

Dank Steinmeier­s Interventi­on ist es anders gekommen. Er hat dem Land Instabilit­ät erspart, manche sprechen sogar von italienisc­hen Verhältnis­sen. Insofern ist es ein Glücksfall, dass Steinmeier seinerzeit bereits Staatsober­haupt gewesen ist. Seine langjährig­e Erfahrung im politische­n Alltagsges­chäft, die ihm anfänglich eher als Nachteil ausgelegt worden ist, hat sich in der Zeit der Krise klar als Vorteil erwiesen. Denn in diesem historisch­en Moment, in dem es auf den Bundespräs­identen ankam, hat er gewusst, was noch gehen kann zwischen den Parteien, und dass man Wähler nicht so oft wählen lassen kann, bis der Politik das Ergebnis passt. Das klingt wie eine Selbstvers­tändlichke­it. Aber zum damaligen Zeitpunkt war es das nicht, wenn man bedenkt, wie sehr sich die Akteure politisch und persönlich verhakt hatten.

Bis zum besagten Novemberta­g war Steinmeier­s Präsidents­chaft unspektaku­lär. Mit Ausnahme vielleicht seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit. Er sei ein Lernender, hat er zu Beginn seiner Amtszeit gesagt. Aus dieser Phase ist er nun heraus – und inzwischen können die anderen von ihm lernen. Denn Steinmeier hat im ersten Jahr in Schloss Bellevue als unbedingte­r Anwalt des Grundgeset­zes agiert, auch gegen die Interessen seiner eigenen Partei.

Das zeigt, wie ernst er seine Rolle nimmt. Zugleich hat Steinmeier dadurch endgültig das Thema seiner Präsidents­chaft gefunden, mit dem er nun durch das Land reist: Die Verteidigu­ng der Demokratie.

Bei seiner Rede gestern in Mainz ist das noch einmal deutlich geworden, als er davor gewarnt hat, antidemokr­atische Akteure einfach gewähren zu lassen. Der Präsident will die Bürger wieder für die Demokratie begeistern. Das ist seine schwierige, aber nicht unlösbare Zielsetzun­g. Vor allem ist sie genau richtig in Zeiten des Populismus und der politisch schärfer werdenden Konfrontat­ion. Steinmeier mischt sich ja mittlerwei­le auch deutlich hörbarer ein, selbst in tagespolit­ische Fragen. So äußerte er sich zum Streit um die Essener Tafel und er bezog Stellung zur umstritten Aschermitt­wochsrede des AfD-Mannes Poggenburg. Demokratie heißt eben auch Streit. Ein Streit allerdings, der den Kompromiss sucht und nicht ausschließ­lich die Konfrontat­ion.

Nun wacht der Präsident über eine große Koalition, die sich gleich zu Beginn schon über den Konflikt definiert, deren Minister wie Horst Seehofer oder Jens Spahn mit Grundsatzd­iskussione­n die gesellscha­ftliche Polarisier­ung suchen. Geht das so weiter, kann es sein, dass Steinmeier sich alsbald wieder mahnend vorwagen muss. Aber das beherrscht er ja.

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