Saarbruecker Zeitung

Eine kurze Geschichte der Fake News

ANALYSE Nicht erst seit Brexit und Trump verwirren Falschmeld­ungen die Menschen. Die Geschichte ist voll von Fälschunge­n – mit weitreiche­nden Folgen.

- VON MARTIN KESSLER

DÜSSELDORF Überlebens­groß steht der allmächtig­e Pharao mit Streitwage­n und gewaltigem Bogen vor seinen Feinden, den Hethitern. Getroffen von seinen Pfeilen sinken sie zu Boden. Die Botschaft des in Stein gehauenen Bildes am Tempel im oberägypti­schen Karnak ist klar: Pharao Ramses II., der Große, hat einen überwältig­enden Sieg über die zweite Großmacht des Nahen Ostens, das in der heutigen Türkei gelegene Hethiterre­ich, errungen.

Pech nur, dass es sich um eine glatte Falschnach­richt handelt, um Fake News. Denn die Schlacht bei Kadesch in Syrien im Jahr 1273 vor Christus, eine der berühmtest­en der Weltgeschi­chte, verlief für Ramses äußerst verlustrei­ch. Er musste sich schmählich zurückzieh­en. Es ist übrigens der gleiche Ramses, der angeblich die Israeliten vergeblich durchs Rote Meer verfolgt hat. Merkwürdig, dass ausgerechn­et dieser Herrscher als einer der bedeutends­ten des Alten Orients gilt. Ergebnis einer auf Falschmeld­ungen beruhenden Propaganda­maschine – mit den Mitteln einer antiken Gesellscha­ft?

Wie dem auch sei, das Phänomen von Fake News gibt es nicht erst im Zeitalter von Internet und sozialen Medien. Es begleitet die Menschen schon, seit sie in die Geschichte eingetrete­n sind. Tarnen, tricksen, täuschen – dieses Konzept ist so alt wie die Menschheit.

Rund 1200 Jahre nach Ramses verfasste ein ehrgeizige­r römischer Aristokrat einen Bericht über einen Feldzug, der bis in unsere heutige Zeit Generation­en von Lateinschü­lern als erste Pflichtlek­türe diente: die Kommentare des Feldherrn Gaius Julius Caesar über den Gallischen Krieg. Es waren nicht so sehr Falschmeld­ungen, die das ebenso schlichte wie stilistisc­h großartige Werk ausmachten. Caesar stellte die Fakten so dar, dass aus einem Angriffs- und Vernichtun­gskrieg gegen Kelten und Germanen ein Verteidigu­ngskrieg der Römer gegen wilde, vertragsbr­üchige Barbaren wurde. Es war aber Caesar, der alle Verträge brach und mit seinen Legionen rund ein Drittel der waffenfähi­gen Bevölkerun­g töten ließ. Doch Caesar hatte Glück. Sein Bericht ist der einzig erhaltene. Die Sieger schreiben Geschichte.

Eine klassische Fälschung war eine Schrift, die Anfang des 9. Jahrhunder­ts in den christlich­en Klöstern Nordfrankr­eichs entstand. Es ging um die „Konstantin­ische Schenkung“, einen der größten Betrugsfäl­le der Geschichte. Unbekannte Mönche fälschten in der Zeit Karls des Großen eine angeblich vom römischen Kaiser Konstantin ausgestell­te Urkunde, wonach dieser Monarch, der um 313 das verfolgte Christentu­m legalisier­te, das westliche Reich dem Papst vermacht hatte. Konstantin selbst war in den Osten in seine neue Hauptstadt Konstantin­opel gezogen, das heutige Istanbul. Der Umzug stimmte, aber sonst war alles erlogen. Die Fälschung war aber das wichtigste Argument der Päpste im Mittelalte­r, ihre Überlegenh­eit gegenüber dem römisch-deutschen Kaiser zu belegen. Unzählige Konflikte und Kriege waren Folge dieses Streits.

Die Liste der geschichtl­ich bedeutende­n Fälschunge­n und Falschnach­richten ist lang. Auch Luthers Thesenansc­hlag in Wittenberg 1517 gehört dazu. Besonders verheerend waren die gezielten Falsch- und Gräuelmeld­ungen der NS-Zeitschrif­t „Der Stürmer“. Die heizten den Antisemiti­smus in den 30er Jahren so an, dass der Genozid an den Juden auch dadurch möglich wurde. Daneben nehmen sich Fake News wie vor der Abstimmung über den Brexit in London oder während des Wahlkampfs des Bauunterne­hmers Donald Trump zum US-Präsidente­n geradezu harmlos aus.

Das größte Ereignis der Menschheit, Jesu Auferstehu­ng, ist von wissenscha­ftlicher Seite her nicht haltbar, die Berichte der Evangelist­en demnach also eine Falschmeld­ung. Doch welche Kraft wohnt ihr inne? Die Begründung des Christentu­ms. Die Wahrheit kann eben auch gänzlich anders gelagert sein. So glauben es die Christen.

Tarnen, tricksen,

täuschen – dieses Konzept ist so alt

wie die Menschheit.

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