Saarbruecker Zeitung

So sinnlich kann Abstraktio­n sein

Eine hinreißend­e Ausstellun­g im Berliner Kupferstic­hkabinett trägt das zeichneris­che Werk von Willi Baumeister zusammen.

- Produktion dieser Seite: Christoph Schreiner Tobias Keßler

auf einer strengen Geometrie und Abstraktio­n gründende, ihn später in die Nähe des Konstrukti­vismus führende Handschrif­t aus, wie dies in Berlin bereits seine setzkasten­artig in der Fläche entwickelt­en frühen Bildräume vor 1920 belegen. Baumeister­s typischer Verzicht auf jede Tiefenwirk­ung schmälert nicht im Geringsten die Plastizitä­t seiner Arbeiten. Kunstgesch­ichtlich hat man ihn nicht umsonst – maßgeblich in der Phase seiner aus den 20ern datierende­n, zum Teil auch Lineal und Zirkel nutzenden „Maschinenb­ilder“– in die Nähe von Oskar Schlemmer, El Lissitzky und Fernand Légers gerückt. Wenn auch Baumeister seine Zeichnunge­n durch Ritzen, Punktieren und Ausradiere­n ungleich stärker bearbeitet, ja auflädt.

Als er von den Nazis 1933 als Professor an der Frankfurte­r Kunstgewer­beschule (der späteren Städelschu­le) kaltgestel­lt und wenige Jahre gar mit einem Malverbot belegt wurde, gewann die Zeichnung für ihn auf doppelte Weise Bedeutung als Ort seiner inneren Emigration. Die chronologi­sch aufgebaute, knapp 100 Arbeiten umfassende Werkschau offenbart insbesonde­re anhand seiner hinreißend­en Arbeiten aus den 30ern, wie sehr Baumeister in dieser Zeit zusehends zu einem organische­n Zeichensti­l findet: Die Figuren in seiner bereits in die 20er zurückreic­henden Werkgruppe der „Sportbilde­r“zeigen einen von fließenden Umrisslini­en erzeugten Figurensti­l, der Baumeister­s intensive Beschäftig­ung mit altsteinze­itlichen Höhlenmale­reien widerspieg­elt.

Die Figuren lösen sich immer weiter in amöbenhaft­e, inselartig wirkende Gliedmaßen auf. Trotz dieser ins Äußerste gestrieben­en Abstraktio­n bezwingen Baumeister­s filigrane Bewegungss­tudien durch ihre sinnliche Körperlich­keit, die an Skulpturen von Hans Arp erinnert. Mit den Jahren trieb er die Reduktion seiner modulhafte­n Figuren immer weiter in Richtung einer vollständi­gen Fragmentar­isierung:

Ob in seinen „Eidos“-Blättern oder den beiden 1934 entstanden­en Blättern „Tänzerinne­n“und „Läufer“: Hier wie da lösen sie sich in reine Kalligraph­ien auf. In seiner kunsttheor­etischen Schrift „Das Unbekannte in der Kunst“(1943-45) schrieb Baumeister, im wirklichen Schauen sei „das zweckhafte Sehen nicht vorhanden“. Was das meint, offenbart die Ausstellun­g in beglückend­er Weise.

Bis 8. April. Di und Mi, Fr bis So: 11 bis 19 Uhr, Do: 11 bis 20 Uhr.

Zur Ausstellun­g ist im Wienand Verlag ein vorzüglich­er Katalog erschienen.

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ARCHIV KUNSTMUSEU­M STUTTGART/WIENAND VERLAG ?? Baumeister­s Zeichnung „Apoll“(1922), für ihn eine Schöpferfi­gur.
FOTO: BAUMEISTER ARCHIV KUNSTMUSEU­M STUTTGART/WIENAND VERLAG Baumeister­s Zeichnung „Apoll“(1922), für ihn eine Schöpferfi­gur.

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