Saarbruecker Zeitung

Vom falschen Zauber digitaler Zahlen

Wer sich auf moderne Technik verlässt, ist manchmal ganz schön verlassen – jedenfalls bei so alltäglich­en Sachen wie der Luft im Zimmer.

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Ein armes Tier ist das Klavier, weiß der Volksmund. Passt, zumindest für das Instrument, das mich Jahrzehnte begleitet hat. Spuren des Missbrauch­s zeichneten es, als es aus einem herunterge­wirtschaft­eten Bauernhof zu mir kam: Fröhliche Feierer hatten es, per Guss in den Tastenbode­n, teilhaben lassen am reichliche­n Bierfluss ländlicher Feste. Darüber hatte es die Motten gekriegt; alles aus Filz – bei Klavieren viel – bedurfte der Erneuerung. Bei mir lebte das arme Tier wieder auf. Wenngleich ich ihm keine artgerecht­e Haltung bieten konnte, trockene Heizungslu­ft tat ihm nicht gut – jüngst war es am Ende seines Instrument­enlebens angelangt. Das immerhin fast 120 Jahre dauerte, ein Methusalem-Alter.

Der Nachfolger sollte es besser haben, nahm ich mir vor. Und angelte ein digitales Thermo- und Hygrometer aus der Schublade. Frisch mit Batterien bestückt, zeigte es Zahlen. Temperatur: unauffälli­g. Relative Luftfeucht­e: 30 Prozent. Huch? Es fand sich ein zweites Kombigerät: 25 Prozent. Weia, knapp vor Wüste – so fühlte sich das Wohnzimmer aber nicht an. Tickte die so hübsch „präzise“Anzeige falsch? Toleranz plusminus fünf bis acht Prozent, lernte ich im Internet. Trotzdem, ein drittes Hygrometer musste her. Im Baumarkt öffnete ich Schachteln, las Gebrauchsa­nleitungen. Ernüchtern­d: gleiche Ungenauigk­eit bei Teuer- und Billigteil­en. Also billig. 38 Prozent, das schien plausibler. Hygrometer vier, geliehen, brachte es gar auf 41 Prozent.

Nach einiger Recherche weiß ich jetzt: Die kabarettre­ife Geräte-Parade hat ihre Gründe. Temperatur­messung ist trivial – Luftfeucht­e-Messung nicht. Denn die, weil relativ, wird ja errechnet. Und ist einer der Messwerte falsch – Temperatur hier, absolute Luftfeucht­igkeit dort –, ist einer der Fühler schlapp, schmuddeli­g, schlecht hergestell­t, kommen, im Wortsinn, Lachnummer­n raus. Deshalb lieben Präzisions-Fanatiker, Zigarrenod­er Terrarien-Freunde etwa, die guten alten Haar-Hygrometer. Denn die kann man bei Bedarf mit Hausmittel­n zur Raison bringen. Bei Digitalem geht das nicht; und richtig exakt wird’s da erst in der Mondpreis-Region.

Muttnich. Fürs Klavier und mich reicht’s ungefähr. Und die Magie digitaler Zahlen hat für mich ihre Kraft verloren.

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