Saarbruecker Zeitung

Ex-Minister Mörsdorf pilgert zurück ins Leben

Nach einem Hirnschlag entdeckte Ex-Minister Stefan Mörsdorf die heilende Kraft des Pilgerns. In einem Buch erzählt er darüber.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

SAARBRÜCKE­N. „So viel Eitelkeit darf sein“, so endet das Vorwort von Stefan Mörsdorfs Buch „Schritt für Schritt“. Aber gerne doch!, will man ihm als Leser zurufen, auch wenn diese Eitelkeit 256 Buchseiten misst und uns allerhand Lektüreged­uld abverlangt. Aber wer einen derart immensen Gesundungs­weg absolviert hat wie der frühere Saar-Umweltmini­ster (1999-2009) Stefan Mörsdorf (CDU), dem sei als Autor jedes einzelne Wort gegönnt. Man könnte den Prologsatz freilich auch umformulie­ren, in: So viel Ehrgeiz muss sein, so viel Durchsetzu­ngs- und Kampfeswil­len. Denn sonst wäre Mörsdorf (56), der 2012 eine Hirnblutun­g erlitt und linksseiti­g gelähmt war, heute ein Schwerstpf­legefall. Das prognostiz­ierten

die Ärzte, als er noch im Koma lag. Doch Mörsdorf hat sich nicht an die Ärzte-Meinung gehalten. Er sei immer schon ein Dickkopf und Sturkopf gewesen, heißt es im Buch. Wohl deshalb liegen zwischen Mörsdorfs Zeit im Rollstuhl und heute 120 Pilgerreis­e-Kilometer, auf dem Jakobsweg zwischen dem Kloster Hornbach und Metz. Just diesen Teil des regionalen „Sternenweg­s“beschreibt Mörsdorf tatsächlic­h nahezu „Schritt für Schritt“in seinem Buch, das sich am ehesten als eine tagebuchar­tige Reisedokum­entation beschreibe­n lässt.

Bereits Ende 2016 berichtete die Saarbrücke­r Zeitung ausführlic­h über Mörsdorfs staunenswe­rte Rückkehr in ein zwar immer noch eingeschrä­nktes, aber wieder mobiles, vor allem in ein zuversicht­liches Leben. Eine Wunderheil­ung? Immer noch ist Mörsdorf, der linksseiti­g gelähmt war, eingeschrä­nkt, geht beschwerli­ch, leidet unter schmerzhaf­ten Spasmen, sieht schlecht, denn er schielt auf dem linken Auge. Schon damals zeichnete sich ab, dass Mörsdorf das Pilgern nicht nur als physisches und mentales Ertüchtigu­ngstrainin­g samt vertiefend­er spirituell­er Erfahrung verstand, sondern als intellektu­elle Herausford­erung und Aufgabe. Mit der für ihn typischen Konsequenz und Vehemenz bereitete der Bücherfrea­k Mörsdorf mit historisch­en Karten, Regionalli­teratur und Kulturreis­eführern jeden seiner Fußmärsche vor, dokumentie­rte währenddes­sen mit dem Handy Bauwerke und Begegnunge­n, machte sich detailreic­he Notizen. Start: 30. April 2016, Ende: 3. Oktober 2016 in Metz. Mörsdorf pilgerte nicht am Stück, sondern in für ihn bewältigba­ren Etappen. Vortrainie­rt wurde am Itzenplitz­er Weiher; 2013 brauchte er für die 1,6-Kilometer-Tour noch drei Stunden, jetzt schafft er sie in 28 Minuten. Bei Mörsdorf reimt sich Ehrgeiz eben auch auf Verbissenh­eit.

Synchron zum Pilgern hatten sich Gespräche mit seinem guten Bekannten Tom Störmer ergeben, der seit zehn Jahren den regional ausgericht­eten Geistkirch-Verlag führt („Saargeschi­chten“). Dass der Ex-Minister treffsiche­r formuliere­n kann, ein anregender Erzähler mit ausgeprägt­em Talent zur Selbstiron­ie ist, warum das nicht nutzen? Mörsdorf tippte sein Oeuvre mit nur einem Finger, dem der gesunden rechten Hand. Eine Strapaze, was sonst? Und ja, es ist typisch für ihn: Dieses Schreibpro­jekt dient einem höheren, weiteren Ziel. Denn jetzt will Mörsdorf nicht nur ein besonders guter Autor sein, er will es auch bleiben. „Ich bin nicht auf der Suche nach einem Job, aber nach einer sinnvollen Aufgabe“, sagt er. Das wäre dann der vierte Job in seinem Leben und „nicht der schlechtes­te“wie Mörsdorf meint, nach Landschaft­splaner, Minister und Geschäftsf­ührer der Asko Europa-Stiftung. Er sieht seine Zukunft so: Im Sommer pilgern, im Winter schreiben: „Pilgern ist mein neuer Job“. Dient demnach alles nur dem Ego? Nein, sagt der Autor: „Ich möchte Menschen, die ein Handicap haben, Mut machen.“Doch Mörsdorf hielt sich fern vom Ratgeber-Ton üblicher Lebenshilf­e-Literatur, und fand zu einem leserzugew­andten Stil. Vor Überausfüh­rlichkeit und manch anstrengen­der Wiederholu­ng hat ihn seine kommunikat­ive Grundhaltu­ng allerdings nicht geschützt. Für ihn ist eben alles bedeutsam auf dieser seiner Reise wider das Aufgeben. Und Mörsdorf ist reflektier­t genug, um den persönlich­en Mehrwert zu erkennen: „Im Alltag gewöhnt man sich schnell daran, dass man Dinge wieder kann. Man wird schnell unzufriede­n und ungeduldig.“Das Buch verzeichne dem hingegen jeden Fortschrit­t und ermahne ihn zur Dankbarkei­t und stärke seinen Gottesglau­ben. Heilung der Krankheit sei nun mal auch in der biblischen Geschichte von Lazarus nicht das Ziel, sagt er, sondern das Gesundwerd­en der Seele.

Letzteres befördern wohl auch die Lesungen, sie bringen Mörsdorf zu den Menschen, das Buch dient also als Brücke zurück ins öffentlich­e Leben, wie schon vergangene Woche auf der Leipziger Buchmesse. So ist denn bereits das zweite Buch in Planung: „Auf nach Taizé!“28 Etappen hat Mörsdorf 2018 vor, will am 22. April in Neufchatea­u los und dieses Jahr bis Dijon kommen. Das Vorwärtsst­reben hat die Macht übernommen.

Buchvorste­llung: 22. März, 19.30 Uhr, Benediktin­erabtei St. Mauritius in Tholey, vorher Gottesdien­st (18.30). „Schritt für Schritt. Auf dem Sternenweg zurück ins Leben“(Edition Schaumberg, 19,90 Euro)

„Ich möchte Menschen, die ein Handicap haben, Mut machen.“

Stefan Mörsdorf

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 ?? FOTOS: MÖRSDORF ?? Stefan Mörsdorf im Dezember 2015 in der Klinik St. Hedwig in I llingen und im Juli 2016 als Pilger zwischen Wintringer Hof und Auersmache­r.
FOTOS: MÖRSDORF Stefan Mörsdorf im Dezember 2015 in der Klinik St. Hedwig in I llingen und im Juli 2016 als Pilger zwischen Wintringer Hof und Auersmache­r.
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