Saarbruecker Zeitung

Der neue Kinofilm „I Tonya“erzählt die Lebensgesc­hichte der Eiskunstlä­uferin Tonya Harding.

„I Tonya“erzählt die Lebensgesc­hichte der Eiskunstlä­uferin Tonya Harding, deren Ehemann einen Anschlag auf deren Konkurrent­in initiierte.

- VON FRANZ EVERSCHOR

BONN Fans des Eiskunstla­ufs werden sich vielleicht an Tonya Harding erinnern, die 1991 als erste Frau mit einem dreifachen Axel Geschichte machte. Wenige Jahre später fiel sie aber in Ungnade, nachdem sie beschuldig­t wurde, an einer heimtückis­chen Attacke gegen ihre Rivalin Nancy Kerrigan beteiligt gewesen zu sein. Von da an ging es in Hardings Leben nur noch abwärts. Wer sie sehen wollte, musste zu billigen Frauenboxk­ämpfen gehen.

Über die Sportlerin würde niemand mehr sprechen, wenn es jetzt nicht diesen Film gäbe, der morgen im Kino startet. Der Drehbuchau­tor Steven Rogers und Regisseur Craig Gillespie haben sich daran versucht, etwas scheinbar Unmögliche­s zu tun: die pseudodoku­mentarisch verfilmte Lebensgesc­hichte von Tonya Harding gleichzeit­ig als realistisc­hes Drama und als Komödie zu erzählen. Das Resultat ist ein emotionale­s Wechselbad, aber auch eine Art Biografie des unterprivi­legierten Amerikas.

Der ungewöhnli­che Stil des Films wird gleich zu Beginn durch ein Bekenntnis seiner Urheber verdeutlic­ht. Auf einer Titelkarte heißt es: „Der Film basiert auf ironiefrei­en, sich wild widersprec­henden und total wahren Interviews mit Tonya Harding und Jeff Gillooly“, dem Ehemann von Harding. Selbstbeke­nntnisse der unzimperli­chen und wenig selbstkrit­ischen Sportlerin, von Margot Robbie mit allem Aplomb einer wandlungsf­ähigen Darsteller­in gespielt, durchziehe­n den ganzen Film. Die Dramaturgi­e folgt Hardings Lebensgesc­hichte von der Kindheit über ihre großen Erfolge auf dem Eis bis in die Hölle der allgemeine­n Verachtung.

Der Film lässt keinen Zweifel daran, dass auch ihre frühe Jugend und die Jahre des Ruhms für Harding oft unerträgli­ch waren. Glaubt man ihm, und es gibt kaum Gründe, das nicht zu tun, so war daran hauptsächl­ich ihre Mutter schuld, die das Mädchen von klein auf um der Befriedigu­ng ihres eigenen Ehrgeizes willen tyrannisie­rte und in eine Karriere als Eiskunstlä­uferin getrieben hat. Die äußeren Umstände, unter denen die kleine Tonya aufwuchs, waren kaum geeignet, daran etwas zu ändern. In einem Milieu, in dem Gewalttäti­gkeit und Alkohol zum Tagesablau­f gehörten, gab es keine Gelegenhei­t für eine „behütete Kindheit“. So wuchs Harding zu einer stets schimpfend­en Jugendlich­en heran, die bald an einen sie misshandel­nden Kerl geriet, der ihr Leben auch nach der Heirat noch weiter in den Abgrund trieb, denn er war es, der den hinterlist­igen Eisenstang­en-Angriff auf Nancy Kerrigan ausheckte. Nun scheint Tonya Harding durchaus nicht nur Opfer gewesen zu sein. Der Film stellt sie jedenfalls als eine Frau dar, die in jedem Alter bereit und in der Lage war, ebenso unnachsich­tig Verachtung und Gewalt auszuteile­n, wie sie diese von ihrer Umwelt empfing. Sie war alles andere als die liebliche Eisprinzes­sin. Auch deshalb hatte sie es bei den Juroren schwer, Sympathie zu finden. Vielleicht war das auch der Grund, warum sie die Gunst des Publikums verlor und schließlic­h sogar ganz von der Ausübung ihres Sports ausgeschlo­ssen wurde.

Das alles hätte sich als Tragödie in Szene setzen lassen. Unterschwe­llig ist die Tragik dieses Schicksals auch stets spürbar. Aber Rogers und Gillespie haben aus der traurigen und boshaften Geschichte einen Film gemacht, der den Hauptakzen­t auf die zerstöreri­schen Einflüsse einer Umgebung legt, in der Menschlich­keit und Menschenwü­rde nur noch in ihren primitivst­en Formen zu existieren scheinen. Selbst die mit großer Kunstferti­gkeit gestaltete­n Episoden auf dem Eis, in denen Harding mit all ihrem Können und auch in ihrer psychische­n Verwundbar­keit gezeigt wird, schlagen immer wieder in Zerrbilder einer verdienten, aber unter unzähligen seelischen Verletzung­en erlittenen Karriere um. Erträglich und sogar unterhalts­am gemacht wird diese Story allenfalls als Farce. „I, Tonya“ist eine unablässig

mit der Wahrheit jonglieren­de Mixtur aus scharfzüng­igem Witz und unverstell­ter Anklage, bei der sich Lachen und Zorn binnen Sekunden ablösen. Erst im letzten Drittel entgleitet die Geschichte, weil es Autor, Regisseur und der Darsteller­in nicht mehr gelingt, die Verschwöru­ng gegen Nancy Kerrigan vor dem Einbruch des standardis­ierten Ganovenfil­ms zu bewahren.

Läuft ab morgen in vielen Kinos. Weitere Filmkritik­en morgen im treff.region

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FOTO: DCM Lange umschwärmt, dann verachtet: Tonya Harding (Margot Robbie ) im Presserumm­el.

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