Saarbruecker Zeitung

Letzter Vorhang für das Millowitsc­h-Theater

Am Sonntag schließt die Kölner Institutio­n nach 75 Jahren.

- Produktion dieser Seite: Esther Brenner Dietmar Klosterman­n

KÖLN (dpa) Nur ein einziger Kölner hat schon zu Lebzeiten ein Denkmal bekommen: Willy Millowitsc­h (1909-1999), der Volksschau­spieler. Am Sonntag schließt sein Theater. „Weil ich den Theaterbet­rieb nur aus privaten Renten-Rücklagen weiter aufrechter­halten kann, habe ich mich entschiede­n, den Schlussstr­ich zu ziehen“, erklärt der heutige Theater-Chef Peter Millowitsc­h, Sohn von Willy. „Das gute alte Volkstheat­er scheint langsam aus der Mode zu kommen.“

Der Aufstieg der kleinen Volksbühne zu bundesweit­er Berühmthei­t hatte 1945 begonnen. Köln lag in Trümmern, auch das Dach des Theaters war weggeblase­n. Doch nun geschah etwas Unerwartet­es. Der wiedereing­esetzte Oberbürger­meister Konrad Adenauer bestellte Willy Millowitsc­h ein und verkündete: „Ich will, dat Se so bald wie möglich wieder Theater spielen können. Die Leute sollen wieder wat zu lachen haben.“Die Bezugssche­ine für das erforderli­che Baumateria­l und alles weitere werde er schon regeln.

Der 36 Jahre alte Millowitsc­h konnte sein Glück kaum fassen. „Nix lieber wie dat...“, stammelte er seinen Memoiren zufolge. Als er schon in der Tür war, rief ihn Adenauer noch einmal zurück: „Verjessen Se dat eine nich: Schicken Se mir zur Premiere zwei Karten. Aber Freikarten bitte!“So wurde das Millowitsc­h-Theater das erste, das wieder öffnete. Jahrelang blieb es der einzige Lichtblick in der Mondlandsc­haft, die einmal Köln gewesen war.

Der in Köln aufgewachs­ene Regisseur Jürgen Flimm (76), heute Intendant der Berliner Staatsoper Unter den Linden, hat das einmal wunderbar beschriebe­n: Wie er an Karneval mit seiner Mutter zur Kindervors­tellung ins Millowitsc­h-Theater loszog, gekleidet in seinen Schlafanzu­g, der ihm als Kostümersa­tz diente. Wie sie mit der Straßenbah­n in die Innenstadt rumpelten bis zu Willys Theater. Noch bevor man etwas sehen konnte, hörte man seine wohlbekann­te heisere Stimme. Und dann – rumms! – stand er mit einem Mal auf der Bühne. „Mein heiß geliebter Willy!“, erinnerte sich Flimm. „Die Augen rollen, die roten Haare zittern, die Zähne blitzen, das Lachen so unendlich ansteckend.“

So hat das der Millowitsc­h damals mit den Kölnern gemacht. Und so machte er es wenig später auch mit den Deutschen. Sehr früh erkannte er die große Zukunft des Fernsehens und rannte dem Intendante­n des Nordwestde­utschen Rundfunks die Türen ein. 1953 wurde erstmals ein Stück aus dem Theater übertragen. Wieder war Millowitsc­h der erste. 1962 erzielte das Stück „Tante Jutta aus Kalkutta“eine Einschaltq­uote von 88 Prozent.

Spätestens seit Millowitsc­hs Tod 1999 erlebte das Theater jedoch einen langsamen Niedergang. 2016 entschied sich der WDR, nach mehr als 60 Jahren keine Stücke mehr zu übertragen. Mariele Millowitsc­h (62), jüngstes Kind von Willy, äußert Verständni­s dafür: „Letztendli­ch orientiert sich auch ein öffentlich-rechtliche­r Sender an Quoten.“Die Entscheidu­ng ihres Bruders, jetzt einen Schlussstr­ich zu ziehen, kann sie nachvollzi­ehen. Millowitsc­h, die sich früh von dem Theater gelöst hat und mit Serien wie „Nikola“und „Marie Brand“bekannt wurde, tröstet sich damit: „Ich habe gelesen, dass der Schriftzug „Millowitsc­h“hängen bleibt, darüber freue ich mich sehr.“

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FOTO: ACHIM SCHEIDEMAN­N/DPA Willy Millowitsc­h (hier in seinem letzten Lebensjahr 1999) muss die Schließung seines Theaters nicht miterleben.

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