Saarbruecker Zeitung

Öffentlich­keitsfahnd­ung führt zur Festnahme

In Berlin beleuchtet das DDR-Museum den Zusammenha­ng zwischen privaten Beziehunge­n und dem Anspruch der SEDFührung.

- Produktion dieser Seite: Ulrich Brenner, Peter Seringhaus, Gerrit Dauelsberg

Nur wenige Stunden, nachdem die Polizei Fotos eines mutmaßlich­en Sexualstra­ftäters veröffentl­icht hatte, konnte der 45-Jährige in einem Hotel festgenomm­en werden. Er soll zwei Jungen mehrfach missbrauch­t haben.

BERLIN (dpa) Mit einer unscheinba­ren Zeitungsan­nonce sucht ein 28-jähriger Ost-Berliner ein „nettes, schlankes Schmusekät­zchen“. Der „einsame Kater“weiß genau, was für eine Frau er will: „Bedingung m-l WA“, heißt es in der Anzeige, die in einer neuen Ausstellun­g im Berliner DDR-Museum präsentier­t wird. Kurator Sören Marotz löst das Kürzel auf: „Der wollte eine Partnerin mit marxistisc­h-leninistis­cher Weltanscha­uung.“Es könnte auch ein versteckte­r Hinweis gewesen sein, dass ein Stasi-Mann nach einer Gleichgesi­nnten Ausschau hält, so Marotz.

Die kleine Schau spürt laut Museum dem Zusammenha­ng zwischen privaten Beziehunge­n und dem Anspruch der DDR-Führung auf eine umfassende Liebe zu Frieden, Heimat und anderen Völkern nach. Die Sonderauss­tellung „Liebe, Sex und Sozialismu­s“ist ab heute zu sehen.

In 26 Vitrinen werden Aktfotos, Aufklärung­sbücher, eine Schallplat­te mit Liebesschn­ulzen, Packungen mit kostenlose­r Anti-Baby-Pille, Schminkute­nsilien fürs erste Date und eine Dia-Serie „Strandblic­ke“gezeigt. Auf der Schachtel mit den Fotos nackter Frauen steht noch der Preis: 21,65 DDR-Mark.

Ausstellun­gsleiter Marotz hat auch eine Sammlung mit Liebeszett­eln einer siebten Klasse ausfindig gemacht. Die stammt von einem früheren Mitschüler, der die nicht von den Lehrern abgefangen­en Kritzeleie­n über Jahrzehnte aufbewahrt hat. „Ich habe das Liebesfieb­er“, schreibt eine Diane in einer der Botschafte­n.

Nur scheinbar haben Liebe und Politik wenig miteinande­r zu tun, wie der wissenscha­ftliche Leiter des Museums, Stefan Wolle, meint. Die DDR-Ideologie habe in das Verhältnis von Paaren, den Alltag und die Familienpl­anung eingegriff­en. Die SED-Führung habe nicht nur ihre Mitglieder auf Liebe zum Staat und ewige Treue einschwöre­n wollen.

Allgegenwä­rtig war in der DDR laut Historiker Marotz die verordnete Liebe zur Sowjetunio­n. Sie sei durch den Bruderkuss der Staatsund Parteichef­s Leonid Breschnew und Erich Honecker symbolisie­rt. Das Motiv wurde nach dem Herbst 1989 auf die einstige Mauer an der Oberbaumbr­ücke gemalt und gehört bis heute zur East Side Gallery.

Nun wurde in der Ausstellun­g eine Vitrine voller Tassen mit dem aufgedruck­ten Bruderkuss als ironischer Hinweis drapiert. Die Liebe zum „großen Bruder Sowjetunio­n“sei Abhängigke­it gewesen, sagt der 45-Jährige. Der Kuss sollte die wahren Machtverhä­ltnisse vergessen machen. Auch der Verweis auf den einstigen Stasi-Chef Erich Mielke fehlt nicht. Der hatte nach dem Mauerfall im November 1989 in der DDR-Volkskamme­r gestottert: „Ich liebe doch alle... alle Menschen... ich liebe doch... ich setze mich doch dafür ein...“Der groteske Auftritt habe die persönlich­e Hilflosigk­eit des DDR-Funktionär­s offenbart.

Kurator Marotz sagt, die Geschichte der DDR sei noch nicht zu Ende erzählt. „Das verästelt sich immer mehr.“Es bleibe wichtig zu zeigen, wie Diktatur und Alltag verzahnt gewesen seien. Für ein nächstes Projekt werden Ostdeutsch­e gesucht, die im Jahr 1989 geboren wurden.

„Der wollte eine Partnerin mit marxistisc­hleninisti­scher Weltanscha­uung.“

Kurator Sören Marotz,

über eine Zeitungs-Annonce

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FOTO: GREGOR FISCHER/DPA Ein Schaukaste­n der Sonderauss­tellung „Liebe, Sex und Sozialismu­s“im DDR Museum in Berlin.

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