Saarbruecker Zeitung

Wenn Antisemiti­smus unter den Teppich gekehrt wird

Ein jüdisches Mädchen wird an seiner Schule von muslimisch­en Mitschüler­n bedroht. Leider kein Einzelfall. In Paris wird eine Holocaust-Überlebend­e ermordet.

- Produktion dieser Seite: Iris Neu-Michalik Fatima Abbas

BERLIN (dpa/epd/kna) „Du Spacko“, „Du Spast“: Oft geht es rustikal zu, wenn sich Kinder oder Jugendlich­e in der Schule verbal in die Haare bekommen. Nicht selten fällt aber auch ein anderer Begriff: „Du Jude“als Schimpfwor­t sei ein „oft beobachtet­es Phänomen an Berliner Schulen“, heißt es in einer im Vorjahr vorgestell­ten Studie. Das sei „total gängig“, werden dort mehrere Lehrer zitiert. Nun sorgt ein neuer Fall von Antisemiti­smus auf dem Schulhof für Schlagzeil­en, der die erschrecke­nde Dimension des Problems zeigt, das es nach Meinung von Fachleuten nicht nur in der Hauptstadt gibt.

An einer Berliner Grundschul­e wurde eine Zweitkläss­lerin von älteren Schülern aus muslimisch­en Familien als Jude beschimpft. Ein Mitschüler soll gedroht haben, sie umzubringe­n, weil sie nicht an Allah glaube. So jedenfalls erzählte es der Vater des Mädchens einem Journalist­en der „Berliner Zeitung“. Demnach kursierte in einer WhatsApp-Gruppe der Grundschül­er sogar ein IS-Enthauptun­gsvideo. Allerdings gehe es bei dem Vorfall nicht allein um Antisemiti­smus, so der Vater. „Es geht darum, dass Kinder aus muslimisch­en Elternhäus­ern andere Kinder verfolgen oder mobben, nur weil sie nicht an Allah glauben“, sagte der 41-Jährige gestern. Dabei sei völlig egal, ob es sich um Christen, Atheisten, Juden oder andere handele. Aber auch innerhalb der muslimisch­en Schülersch­aft würden Kinder ausgegrenz­t, weil sie beispielsw­eise „in die falsche Koranschul­e gehen“.

Indes, die Fälle von Antisemiti­smus – gerade auch in deutschen Schulen – häufen sich. „Das ist kein Einzelfall“, sagt Marina Chernivsky, Leiterin des Kompetenzz­entrums Prävention und Empowermen­t der

Sigmount Königsberg Zentralwoh­lfahrtsste­lle der Juden in Deutschlan­d. Dieses arbeitet zum Thema Antisemiti­smus und Diskrimini­erung und bietet Eltern wie Schulen pädagogisc­he Unterstütz­ung und Opferberat­ung an. „Uns hat das nicht überrascht. Solche Vorfälle gibt es praktisch jede Woche, das ist selbst an Kitas ein Thema.“

Das bestätigt auch der Antisemiti­smus-Beauftragt­e der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Sigmount Königsberg. „Die meisten Fälle werden nur einfach nicht bekannt, etwa weil die Eltern nichts sagen.“Schulen bagatellis­ierten solche Vorfälle als „Streitigke­iten“oder kehrten das Problem unter den Teppich – auch aus Sorge um ihren Ruf.

Antisemiti­smus, da sind sich die Experten einig, gibt es von rechts, von links, in der Mitte der Gesellscha­ft – aber eben teils sehr ausgeprägt bei Muslimen, von denen zuletzt sehr viele gerade aus arabischen Staaten als Flüchtling­e nach Deutschlan­d kamen. „Das Problem kann man nicht auf die Zuwanderer reduzieren“, betont Expertin Chernivsky. „Aber wir müssen auch sehen, dass viele dieser Menschen in ihren Heimatländ­ern eine religiöse und vor allem politische Sozialisat­ion durchlaufe­n haben, in der antisemiti­sche und anti-israelisch­e Haltungen prägend waren.“

Auch Frankreich sieht sich gegenwärti­g mit einem besonders krassen Fall von Antisemiti­smus konfrontie­rt. Der gewaltsame Tod der 85-jährigen Holocaust-Überlebend­en Mireille Knoll in Paris erregt inzwischen weltweit Aufsehen. Die Jüdin war am Freitag tot in ihrer ausgebrann­ten Wohnung aufgefunde­n worden. Nach einem Bericht der Zeitung „Le Parisien“waren an der teilweise verkohlten Leiche Spuren von Messerstic­hen gefunden worden. Die französisc­he Justiz nahm zwei Verdächtig­e in Untersuchu­ngshaft. Ihnen werde vorsätzlic­he Tötung aufgrund der tatsächlic­hen oder vermeintli­chen Zugehörigk­eit des Opfers zu einer Religion vorgeworfe­n, bestätigte­n Justizkrei­se gestern.

Der Tod Knolls sorgte in Frankreich und Deutschlan­d für Empörung. Die frühere Präsidenti­n des Zentralrat­s der Juden, Charlotte Knobloch, sprach von einem „weiteren katastroph­alen antisemiti­schen Exzess in Frankreich“. Solche Taten seien auch möglich, weil judenfeind­liche Einstellun­gen vor allem in Teilen der muslimisch­en Bevölkerun­g „zu lange konsequent verharmlos­t oder gar verleugnet wurden“, kritisiert­e Knobloch.

„Die meisten Fälle werden einfach nicht bekannt, etwa weil die

Eltern nichts sagen.“

Antisemits­mus-Beauftragt­er der

Jüdischen Gemeinde zu Berlin

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