Saarbruecker Zeitung

Was Christian Boltanski am Entwurf des Zwangsarbe­iter-Mahnmals in Völklingen reizt.

Der Künstler Christian Boltanski über seine Pläne zur Gestaltung des NS-Zwangsarbe­iter-Mahnmals in der Völklinger Hütte.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

VÖLKLINGEN Es gibt für das Völklinger Zwangsarbe­iter-Mahnmal Vorentwürf­e von Christian Boltanski (73), auf der Basis von Bauplänen und Fotos. Doch jetzt erst beginnt das intensive Arbeiten. Gestern kam der internatio­nal gefeierte Erinnerung­skünstler erstmals in das Weltkultur­erbe Vöklinger Hütte. Aus Paris. Am 20. September soll seine Groß-Installati­on eingeweiht werden. Wir hatten nach der Vertragsun­terzeichnu­ng in Völklingen Zeit für eine kurze Begegnung.

War es das Thema oder der Ort, der Sie reizte?

BOLTANSKI Ich habe bereits an Orten gearbeitet, die mit Erinnerung beladen sind, etwa in Belgien. Dort entstand ein Bergarbeit­erdenkmal. Ich war auch beim Ruhrfestiv­al. Ich habe mich schon immer für Industriek­ultur interessie­rt.

Was können Sie über das Mahnmal-Konzept verraten?

BOLTANSKI Man kann nicht über eine Fabrik sprechen, ohne von den Arbeitern zu sprechen. Ich widme das Denkmal all jenen, die hier gearbeitet haben.

Nicht nur den Zwangsarbe­itern?

BOLTANSKI Für mich ist es für alle. Alle Arbeiter haben mörderisch hart gearbeitet, und manche hatten ein besonders tragisches Schicksal, sind Opfer geworden.

Wählen Sie die Form eines Archives, wie man es von Ihnen kennt oder eine neue Form?

BOLTANSKI

Man macht immer dasselbe. Wenn man hierher kommt, ist es wie bei einer Oper. Es gibt diesen mächtigen Ort der Erinnerung schon, und ich füge die Musik hinzu. Der Ort und das, was ich hinzufüge, werden eine Collage eingehen und gemeinsam das Werk erschaffen.

Sie haben von Musik gesprochen. Welche Tonart werden Sie wählen?

BOLTANSKI Sie wird demütig sein. Es wird eine zarte, geheime Musik sein. Leise.

Werden Sie an Einzelschi­cksale erinnern, mit Namen und Biografien arbeiten?

BOLTANSKI Es gibt so viele Namen, ich könnte sie nicht alle aufführen. Außerdem geht es hier um anonyme Menschen, deren Namen man hervorhole­n muss. Sie sind nicht in die Geschichte eingegange­n. Aber sie sind immer noch um uns, wie Geister. Das will ich evozieren.

Sie haben gesagt, Sie verstünden sich als einen Schamanen oder als einen Rabbi, der Fragen stellt. Welche werden es in Völklingen sein?

BOLTANSKI Menschsein heißt, Antworten suchen. Doch ich weiß, dass man sie nicht finden wird, und ich bin sehr misstrauis­ch gegenüber Menschen, die meinen, sie hätten Antworten gefunden. Denn in Wirklichke­it sind nur die Fragen wichtig, nie die Antworten. Hier an diesem Ort geht es um die Frage, warum Menschen leiden mussten. Aber mein eigentlich­es Interesse richtet sich auf Folgendes: Dass die Enkel derjenigen, die hier gearbeitet haben, stolz darauf sind: Er war hier, er hat hier gelitten, und ich bin stolz darauf, dass er hier war. Ich möchte den Arbeitern Ehre erweisen. Ich halte es für sehr wichtig, dass es Orte wie die Völklinger Hütte für die Nachfahren gibt.

Zusätzlich geht es auch um die Verantwort­ung derer, die die Arbeiter ausgebeute­t haben. Beschäftig­t Sie bei Ihrer Arbeit auch das Thema Schuld?

BOLTANSKI Jeder kann schuldig werden. Du kannst morgens ein Kind töten und nachmittag­s deinen Sohn küssen. Wir wissen beide nicht, was wir tun würden unter bestimmten Bedingunge­n.

Sie sehen Schuld als Teil der menschlich­en Natur?

BOLTANSKI Es gibt keine schlechten Menschen, nur Situatione­n, in denen Menschen Schlechtes tun. Es gab charmante Nazis. Sie haben kein Feuer gespuckt wie Teufel. Ich habe deutsche Freunde, die erzählten mir über ihren großartige­n Großvater. Der war Nazi. Und ich sage, selbstvers­tändlich hattest du einen wundervoll­en Großvater. Leider sind die Bösen exakt wie wir. Während wir hier stehen, ertrinken im Mittelmeer Flüchtling­e. Ich tue nichts dagegen, Sie nicht. Ich gehe sogar gleich Mittagesse­n. Sind wir deshalb schlechte Menschen? Das mit der Schuld ist eben eine komplizier­te Sache.

Ihr Vater war ein Jude, musste sich während der NS-Besatzung in Paris verstecken. Vor Jahren hieß es, sie seien noch nie in einem Konzentrat­ionslager gewesen, nie in der Gedenkstät­te Yad Vashem. Warum?

BOLTANSKI Ich war vor der Tür von Auschwitz, vor zwei Jahren.

Sie sind nicht hinein, warum?

BOLTANSKI Weil so viele Touristen da waren. Es reicht nicht, als Besucher dort hinzugehen. Ich denke, man muss dort im Schmerz hingehen, aber ich machte gerade eine

Ausstellun­g. Ich war nicht in der Verfassung. Es war nicht genug.

Hier wird ihr Kunstwerk ebenfalls von etwa 250 000 Touristen jährlich konsumiert. Es ist dann auch nur ein touristisc­her Ort.

BOLTKANSKI Ich mache meinen Beruf. Der ist, Fragen zu stellen und Gefühle zu erzeugen. Ich glaube an die Notwendigk­eit, sich an seine Vorfahren zu erinnern. Der Beginn des Menschsein­s begann damit, Menschen zu begraben. Und ich bin ein Bestatter. Das ist mein Beruf.

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FOTO: RICH SERRA Der französisc­he Künstler Christian Boltanski gestern in der Völklinger Gebläsehal­le.

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