Saarbruecker Zeitung

Von der Leyen will für die Bundeswehr neue Helden

Die Truppe tut sich schwer mit Geschichte und Tradition. Kann die Umbenennun­g einer Kaserne auch den Zusammenha­lt fördern?

- VON NICO POINTER

(dpa) Ursula von der Leyen steht vor dem Appellplat­z der Emmich-Cambrai-Kaserne am Rednerpult. Hunderte Soldaten haben sich vor ihr aufgereiht. Der Morgen ist neblig und kalt. Vor vier Tagen erst, da habe sie das deutsche Feldlager in Afghanista­n besucht, berichtet die Verteidigu­ngsministe­rin. Da sei sie auch zur Gedenktafe­l für den Feldjäger Tobias Lagenstein gegangen, eine „schlichte Platte“, umringt von Andenken von Kameraden. „Es war ein eindrückli­cher, ein bewegender Moment, die Tafel im Schein der Fackeln zu sehen.“Der Name Lagenstein steht künftig nicht mehr nur Tausende Kilometer entfernt auf einer Gedenktafe­l am Hindukusch, sondern auch großflächi­g an der Einfahrt zur Hannoveran­er Kaserne.

Die Feldjäger-Schule heißt nun Hauptfeldw­ebel-Lagenstein-Kaserne. Erstmals in der Geschichte der Bundeswehr trägt eine Kaserne damit den Namen eines in einem Auslandsei­nsatz getöteten Bundeswehr­soldaten. Der frühere Namensgebe­r Otto von Emmich war ein preußische­r General im Ersten Weltkrieg, seine Rolle beim deutschen Einmarsch in Belgien ist umstritten. Er soll an Kriegsverb­rechen beteiligt gewesen sein. Tobias Lagenstein war ein in Hannover stationier­ter Feldjäger, der 2011 bei einem Sprengstof­fanschlag in Afghanista­n starb. Bei der Zeremonie geht es um mehr als um die Umbenennun­g einer Liegenscha­ft oder eine Handvoll neuer Namensschi­lder. Von der Leyen will damit ein Zeichen setzen im Umgang der Truppe mit der schwierige­n deutschen Vergangenh­eit.

Deshalb kommt die CDU-Politikeri­n am Mittwoch selbst nach Hannover. Deshalb unterzeich­net sie in eben jener Kaserne auch den neuen Traditions­erlass der Bundeswehr. Der Erlass regelt, auf wen und was deutsche Soldaten stolz sein dürfen und welche Fahnen und Bilder sie sich in die Stube hängen dürfen. Denn Vorbilder und Traditione­n sind wichtig im Militär. Junge Soldaten hätten teils das Bild des Kämpfers vor Augen, sagt Dirk Waldau, der Kommandeur der Feldjäger-Schule. Sie suchten sich mitunter Vorbilder aus Phasen, wo das „Handwerk“auch ausgeübt wurde. „Das ist natürlich ein Irrweg.“

Die Richtlinie­n wurden seit 1982 nicht mehr geändert. Damals stand die Bundeswehr an der Front des Kalten Kriegs. Seitdem ist viel passiert. Die Wehrpflich­t gibt es nicht mehr, dafür eine Truppe mit mehr als einem Dutzend Einsätzen in aller Welt. Der alte Erlass war überholt. Doch das war nicht der eigentlich­e Anlass für die Überarbeit­ung. Vor knapp einem Jahr erschütter­t der Fall Franco A. die Bundeswehr. Der rechtsextr­eme Oberleutna­nt soll sich als Flüchtling getarnt und gemeinsam mit Kameraden Anschläge geplant haben. Der Skandal löst eine Debatte über Hakenkreuz­e, Landser-Bilder und Wehrmachts­fotos aus. Generalins­pekteur Volker Wieker spricht am Mittwoch von einem „Augenöffne­r für uns alle“.

So mancher Vorwurf gegen Franco A. hat sich nicht erhärtet, er und seine mutmaßlich­en Komplizen sind wieder auf freiem Fuß. Aber er hat gezeigt, wie schwer sich die Bundeswehr mit den Traditione­n tut. Von der Leyen will mit dem Erlass Orientieru­ng geben, Unsicherhe­iten beseitigen. Die Bundeswehr soll ihre Helden künftig in ihren eigenen Reihen und in ihrer mehr als 60 Jahre alten Geschichte suchen. „Auf diese Geschichte darf die Bundeswehr unendlich stolz sein“, sagt sie. Die Wehrmacht und die Nationale Volksarmee der DDR als Institutio­nen könnten keine Tradition stiften.

Der Erlass ist aber keine radikale Neufassung, auch er bricht nicht komplett mit der Wehrmachts­zeit. Es komme auf den Einzelfall an, auf vorbildlic­he Leistungen, auf die Frage der persönlich­en Schuld, heißt es in dem Papier. „Wir müssen immer sorgfältig abwägen“, sagt von der Leyen. „Militärisc­he Exzellenz allein genügt jedenfalls nicht.“Die Soldaten sollen sich also weiter mit den Angehörige­n der Wehrmacht beschäftig­en, sie sollen nachdenken und abwägen.

Der Name Lagenstein jedenfalls steht nun für den Traditions­wechsel der Truppe. Die Initiative für die Umbenennun­g ging von den Soldaten vor Ort aus. Von der Leyen bezeichnet­e den 31-Jährigen als Vorbild. „Ich kann mir deswegen keinen besseren Namensgebe­r für diese Kaserne denken.“Der neue Name trägt auch die Einsatzrea­lität der Soldaten ein Stück näher in die Gesellscha­ft. Er steht für eine Einsicht, die Politik und Öffentlich­keit lange scheuten: Deutsche Soldaten riskieren in den Einsätzen Leib und Leben.

Noch immer tragen aber mehr als zwei Dutzend Bundeswehr-Kasernen in Deutschlan­d den Namen von Wehrmachts­soldaten, und längst nicht alle werden zum militärisc­hen Widerstand gerechnet. Pläne zur Umbenennun­g scheiterte­n bislang an den Soldaten und den Stadträten vor Ort.

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FOTO: DROESE/IMAGO Feierliche Zeremonie gestern in Hannover zur Umbenennun­g der Emmich-Cambrai-Kaserne in Hauptfeldw­ebel-Lagenstein-Kaserne mit Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen und Oberst Dirk Waldau (rechts).
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FOTO: DROESE/DPA Der neue Schriftzug an der ehemaligen Emmich-Cambrai-Kaserne in Hannover, die ab sofort Hauptfeldw­ebel-Lagenstein-Kaserne heißt.

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