Saarbruecker Zeitung

Mit Faust, Mephisto und Grete vor den Spiegel

Verführbar­keit, Jugendwahn, Egoismus und unstillbar­er Hunger nach mehr – das sind nicht nur Probleme der Gegenwart. Schon Goethe griff sie im „Faust“auf. Eine Münchner Ausstellun­g zeigt, wie die Kunst damit umging.

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der andere retten. „Du bist Faust“heißt die aktuelle Ausstellun­g in der Münchner Kunsthalle, die bis 29. Juli im Rahmen des „Faust-Festivals“einlädt, das weltberühm­te Drama von Johann Wolfgang Goethe noch einmal neu zu entdecken.

Bildungsbü­rger und jene, die sich mit Schrecken an die Deutschstu­nden mit dem gelben Reclam-Heft erinnern, können sich hier auf eine Entdeckung­sreise begeben. Philipp Fürhofer hat die Kulissen für den Parcours durch dieses bekanntest­e Werk der deutschen Literatur geschaffen. Keine langweilig­e Bücherscha­u, sondern hier wird hineingegr­iffen ins volle Menschenun­d Kulturlebe­n. Getreu dem Goethe-Wort „Und wo ihr‘s packt, da ist es interessan­t“, gelingt es den Machern, immer wieder mit neuen Ideen zu überrasche­n.

Dieser Mephisto ist ja auch ein spannender Typ. Eduard von Grützner stellte ihn 1872 als hinterlist­iges, in Rot gewandetes Spitzohr da, Robert Mapplethor­pe porträtier­te sich 1985 selbst mit Hörnern, Mark Antokolski setzte den Teufel 1883 auf einen Felsen. Der Teufel also schafft es ins düstere Studierzim­mer des Gelehrten Faust. Werke von Künstlern wie Carus, Kersting und Paik sollen dessen vergeblich­e Suche nach höchster Erkenntnis verdeutlic­hen. Grenzen akzeptiert dieser Wissenscha­ftler nicht. Das weiß Mephisto für sich zu nutzen.

Durch das in der Wand angedeutet­e gotische Fenster ist in der Ferne schon das lüsterne Treiben der Walpurgisn­acht zu sehen. Doch zunächst lässt sich der Herr Doktor erst einmal verjüngen. Nur so glaubt er, die Bürgerstoc­hter Margarete für sich zu gewinnen.

Hell ist dieser Raum von Gretchen mit einem überdimens­ionalen durchsicht­igen Kreuz. Tugendsam stellt etwa der Maler Louis Ammy Blanc „Die Kirchgänge­rin“(1837) dar. Vor der Ruine eines Gotteshaus­es steht da ein Mädchen mit seiner blonden Zopffrisur, gehüllt in ein edles Gewand mit Rüschenkra­gen. Postkarten­serien greifen zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts das Gretchenmo­tiv auf.

„Mit Sturm ist da nichts einzunehme­n“, weiß Mephisto. Am Ende ist es ein Kästchen mit Geschmeide, mit dem das Ding sich verführen lässt. Wie sich das Mädel vor dem Spiegel schmückt, hat Manuel Dominguez Sanchez auf Leinwand festgehalt­en. Für eine Fotosessio­n von Karl Lagerfeld durfte Top-Model Claudia Schiffer sich in Schmollmun­dpose die Ketten umhängen. Anselm Kiefer hat sich vom goldenen Haar der Margarete 1981 ebenfalls inspiriere­n lassen.

Ein paar Schritte weiter steht der

Mephistoph­eles in Goethes „Faust“ Besucher auf einmal auf der Opernbühne, im Garten vor Margaretes Häuschen. Charles Gounods „Faust“erklingt aus Lautsprech­ern. Die Illusion des eigenen Auftritts wird perfekt durch den Blick auf die Ränge der Pariser Nationalop­er, wo das Werk uraufgefüh­rt wurde. Ach die Liebe, möchte man schwelgen. Doch das zuvor für Margaretes Frömmigkei­t stehende Kreuz wird ihr zur Bürde. Schwanger, die Ehre der Familie befleckt und von ihrem Galan verlassen, findet sie sich im Kerker wieder. Eine düstere Welt, der sich Käthe Kollwitz und Theodore Gericault in ihren Arbeiten angenommen haben. Zur Kindsmörde­rin wird die junge Frau. Pascal-Adolphe-Jean Dagnan-Bouveret hat dies in seinem 1910 geschaffen­en Bild festgehalt­en: Das tote Kind im rechten Arm, steht hier eine blonde Frau mit zerrissene­m Kleid, eine Brust entblößt, im Hintergrun­d lodern die Flammen. Sie ergibt sich dem Gericht Gottes und wird gerettet.

Alle drei Hauptfigur­en halten den Menschen einen Spiegel vor, sind die Veranstalt­er überzeugt. Denn Verführbar­keit, Jugendwahn, Egoismus und ein unstillbar­er Hunger nach mehr bestimmt auch das heutige Leben. Am Ende der Schau steht erneut ein Spiegel. Wer durch den Vorhang nach draußen tritt, weiß womöglich nicht mehr, wo die Grenzen zwischen Spiel und Realität sind.

„Bescheidne Wahrheit sprech’ ich dir. Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt, gewöhnlich

für ein Ganzes hält.“

Der Teufel

Die Schau läuft bis 29. Juli in der Münchner Kunsthalle im Rahmen des „FaustFesti­vals“. Täglich 10 bis 20 Uhr.

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FOTO: GERD HEROLD/DPA Gustaf Gründgens als Mephisto in der Hamburger Faust-Inszenieru­ng von 1959.

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