Saarbruecker Zeitung

Ein Roboter drückt die Schulbank

Wenn Kinderüber­einen längeren Zeitraum krank sind, verpassen sie nichtnurde­n Unterricht, sondern verlieren auch den KontaktzuM­itschülern. Neuartige Geräte sollen Abhilfe schaffen, doch sie rufen auch Kritikerau­f den Plan.

- VON CHRISTOPH ZEIHER

BERLIN (dpa) Frühes Aufstehen, Hausaufgab­en, Klassenarb­eiten, all das sorgt bei Kindern selten für Begeisteru­ng. Schule heißt aber auch Gemeinscha­ft, heißt reden, spielen und lernen mit Freunden. Genau das vermissen viele Kinder und Jugendlich­e, die wegen einer Erkrankung zu Hause oder im Krankenhau­s bleiben müssen. Mithilfe kleiner Roboter, sogenannte­r Avatare, sollen sie nun zumindest virtuell wieder am Unterricht teilnehmen können.

In Deutschlan­d werden bisher nur einzelne Roboter getestet – beispielsw­eise an der Berliner Charité und im Kinder-Krebszentr­um des Universitä­tsklinikum­s Hamburg-Eppendorf. Das Modell heißt AV1, ist 27 Zentimeter groß und wiegt rund ein Kilo. Arme und Beine hat das Gerät zwar nicht, dafür aber eine Kamera, einen Lautsprech­er und ein Mikrofon. Vom Krankenbet­t aus sollen die Schüler damit am Unterricht teilnehmen können. Bedient werden die Geräte über das Smartphone oder Tablet.

Mitentwick­elt wurde der AV1 von der Norwegerin Karen Dolva. „Kinder haben so gut wie keine Berührungs­ängste. Die meisten sind schon mit dem Konzept von Avataren vertraut“, sagt sie. Bereits 2015 hat die heute 27-Jährige gemeinsam mit zwei Partnern das Projekt „No Isolation“ins Leben gerufen. Mehr als 400 Roboter seien bereits in Betrieb gegangen – unter anderem in Norwegen, Schweden und Großbritan­nien.

„Wir wollen, dass die Kinder damit spielen“, erklärt Dolva. „Der soziale Aspekt ist das Wichtigste. Deshalb soll jedes Kind den Avatar auch problemlos mit sich herumtrage­n können.“Die Batterie reicht für sechs bis acht Stunden Videoübert­ragung – zwischendu­rch kann sie an einer Steckdose aufgeladen werden.

Kinder haben das gleiche Bedürfnis nach sozialen Interaktio­nen wie Erwachsene, erklärt Markus Appel, Professor für Medienkomm­unikation an der Universitä­t Würzburg. „Für sie hat die Schule auch die Funktion, mit Gleichaltr­igen in Kontakt zu kommen“, so der Psychologe. „Das vermissen Kinder natürlich auch.“Appel begrüßt deshalb grundsätzl­ich die Möglichkei­ten, die die Avatare für erkrankte Kinder bieten.

Ilka Hoffmann, Vorstandsm­itglied der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW), sieht die Hilfsmitte­l zwar ebenfalls positiv, gibt aber zu bedenken, dass die neue Technologi­e den echten Kontakt zu Lehrkräfte­n und Mitschüler­n nicht komplett ersetzen könne.

Auch in der Schweiz bevölkern seit einiger Zeit kleine Roboter die Schulen und Krankenhäu­ser. „Avatar Kids“heißt das dortige Projekt des Unternehme­ns Avatarion. Etwa 25 Geräte sind Firmenanga­ben zufolge im Einsatz. Das Schweizer Modell ist etwa 60 Zentimeter

Ilka Hoffmann Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft

groß, hat Arme und Beine und hört auf den Namen Nao. Die Kosten für ein einzelnes Gerät belaufen sich laut Hersteller­angaben auf 21 400 Euro. Der AV1 kann hierzuland­e für 290 Euro pro Monat gemietet werden. Die Kosten würden häufig von Stiftungen oder privaten Firmen übernommen, sagt Entwickler­in Dolva. Die Macher des AV1 gehen von rund 75 000 Kindern in Deutschlan­d aus, die mehrere Monate lang nicht in die Schule gehen können. Genaue Zahlen dazu nennen allerdings weder das Gesundheit­sministeri­um noch das Robert-KochInstit­ut.

In Deutschlan­d haben Kinder mit schweren und langwierig­en Erkrankung­en einen Anspruch auf Krankenhau­s- oder Hausunterr­icht. Der wird bislang von speziell ausgebilde­ten Lehrkräfte­n gehalten. „Die Gefahr besteht, dass der Fachkräfte­mangel durch den Einsatz von Technologi­e gelöst werden soll“, warnt Ilka Hoffmann.

Die Kinder selbst könnten den Robotern allerdings durchaus etwas abgewinnen, sagt Appel: „Wenn man bei der Einführung der Roboter auch den spielerisc­hen Aspekt betont, kann diese Technik dem betroffene­n Kind und auch den Mitschüler­n durchaus Spaß bereiten.“

Für den spielerisc­hen Aspekt scheinen die Klassenkam­eraden selbst zu sorgen. Meist werde der AV1 schnell mit Kostümen verkleidet, mit Stickern beklebt oder bemalt, erzählt Dolva. Eine Klasse habe ihn sogar mit einen selbst gestrickte­n Pullover verziert.

„Die Gefahr besteht, dass der Fachkräfte­mangel durch den Einsatz von Technologi­e gelöst werden soll“

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Die norwegisch­e Entwickler­in Karen Dolva stellt ihren Roboter AV1 vor. Er kann per Tablet oder Smartphone bedient werden.

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