Ein Roboter drückt die Schulbank
Wenn Kinderübereinen längeren Zeitraum krank sind, verpassen sie nichtnurden Unterricht, sondern verlieren auch den KontaktzuMitschülern. Neuartige Geräte sollen Abhilfe schaffen, doch sie rufen auch Kritikerauf den Plan.
BERLIN (dpa) Frühes Aufstehen, Hausaufgaben, Klassenarbeiten, all das sorgt bei Kindern selten für Begeisterung. Schule heißt aber auch Gemeinschaft, heißt reden, spielen und lernen mit Freunden. Genau das vermissen viele Kinder und Jugendliche, die wegen einer Erkrankung zu Hause oder im Krankenhaus bleiben müssen. Mithilfe kleiner Roboter, sogenannter Avatare, sollen sie nun zumindest virtuell wieder am Unterricht teilnehmen können.
In Deutschland werden bisher nur einzelne Roboter getestet – beispielsweise an der Berliner Charité und im Kinder-Krebszentrum des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Das Modell heißt AV1, ist 27 Zentimeter groß und wiegt rund ein Kilo. Arme und Beine hat das Gerät zwar nicht, dafür aber eine Kamera, einen Lautsprecher und ein Mikrofon. Vom Krankenbett aus sollen die Schüler damit am Unterricht teilnehmen können. Bedient werden die Geräte über das Smartphone oder Tablet.
Mitentwickelt wurde der AV1 von der Norwegerin Karen Dolva. „Kinder haben so gut wie keine Berührungsängste. Die meisten sind schon mit dem Konzept von Avataren vertraut“, sagt sie. Bereits 2015 hat die heute 27-Jährige gemeinsam mit zwei Partnern das Projekt „No Isolation“ins Leben gerufen. Mehr als 400 Roboter seien bereits in Betrieb gegangen – unter anderem in Norwegen, Schweden und Großbritannien.
„Wir wollen, dass die Kinder damit spielen“, erklärt Dolva. „Der soziale Aspekt ist das Wichtigste. Deshalb soll jedes Kind den Avatar auch problemlos mit sich herumtragen können.“Die Batterie reicht für sechs bis acht Stunden Videoübertragung – zwischendurch kann sie an einer Steckdose aufgeladen werden.
Kinder haben das gleiche Bedürfnis nach sozialen Interaktionen wie Erwachsene, erklärt Markus Appel, Professor für Medienkommunikation an der Universität Würzburg. „Für sie hat die Schule auch die Funktion, mit Gleichaltrigen in Kontakt zu kommen“, so der Psychologe. „Das vermissen Kinder natürlich auch.“Appel begrüßt deshalb grundsätzlich die Möglichkeiten, die die Avatare für erkrankte Kinder bieten.
Ilka Hoffmann, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), sieht die Hilfsmittel zwar ebenfalls positiv, gibt aber zu bedenken, dass die neue Technologie den echten Kontakt zu Lehrkräften und Mitschülern nicht komplett ersetzen könne.
Auch in der Schweiz bevölkern seit einiger Zeit kleine Roboter die Schulen und Krankenhäuser. „Avatar Kids“heißt das dortige Projekt des Unternehmens Avatarion. Etwa 25 Geräte sind Firmenangaben zufolge im Einsatz. Das Schweizer Modell ist etwa 60 Zentimeter
Ilka Hoffmann Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
groß, hat Arme und Beine und hört auf den Namen Nao. Die Kosten für ein einzelnes Gerät belaufen sich laut Herstellerangaben auf 21 400 Euro. Der AV1 kann hierzulande für 290 Euro pro Monat gemietet werden. Die Kosten würden häufig von Stiftungen oder privaten Firmen übernommen, sagt Entwicklerin Dolva. Die Macher des AV1 gehen von rund 75 000 Kindern in Deutschland aus, die mehrere Monate lang nicht in die Schule gehen können. Genaue Zahlen dazu nennen allerdings weder das Gesundheitsministerium noch das Robert-KochInstitut.
In Deutschland haben Kinder mit schweren und langwierigen Erkrankungen einen Anspruch auf Krankenhaus- oder Hausunterricht. Der wird bislang von speziell ausgebildeten Lehrkräften gehalten. „Die Gefahr besteht, dass der Fachkräftemangel durch den Einsatz von Technologie gelöst werden soll“, warnt Ilka Hoffmann.
Die Kinder selbst könnten den Robotern allerdings durchaus etwas abgewinnen, sagt Appel: „Wenn man bei der Einführung der Roboter auch den spielerischen Aspekt betont, kann diese Technik dem betroffenen Kind und auch den Mitschülern durchaus Spaß bereiten.“
Für den spielerischen Aspekt scheinen die Klassenkameraden selbst zu sorgen. Meist werde der AV1 schnell mit Kostümen verkleidet, mit Stickern beklebt oder bemalt, erzählt Dolva. Eine Klasse habe ihn sogar mit einen selbst gestrickten Pullover verziert.
„Die Gefahr besteht, dass der Fachkräftemangel durch den Einsatz von Technologie gelöst werden soll“