Saarbruecker Zeitung

„Wir haben uns abkochen lassen“

Deutschlan­d offenbarte im WM-Härtetest gegen Brasilien eklatante Schwächen. Toni Kroos wählte scharfe Worte, die nachhallen dürften.

- VON MARCO MADER UND THOMAS NOWAG

(sid) Toni Kroos rechnete mit der B-Elf des Weltmeiste­rs kühl und in verächtlic­hem Tonfall ab. „Wir hatten einige Spieler auf dem Platz, die die Möglichkei­t hatten, sich zu zeigen auf diesem Niveau“, sagte der Mittelfeld­chef nach dem ernüchtern­den 0:1 (0:1) im letzten WM-Härtetest der deutschen Fußball-Nationalma­nnschaft gegen Brasilien: „Das haben sie nicht getan.“Peng! Das saß. Was Bundestrai­ner Joachim Löw am Dienstagab­end im Berliner Olympiasta­dion geboten bekam, war alarmieren­d: Sieben Wochen vor der Nominierun­g seines vorläufige­n WM-Kaders am 15. Mai in Dortmund drängte sich gegen eine keinesfall­s herausrage­nde Seleção keiner aus der zweiten Reihe auf. Statt des Rekords von 23 Spielen ohne Niederlage steht nun eine Reihe aus vier Tests gegen Topgegner ohne Sieg und mit nur drei Toren. Kroos war zu Recht sauer.

In der Mixed Zone wiederholt­e er seine Kritik. Ihm habe „alles“missfallen, richtig „geärgert“habe er sich über die dilettiere­nden Kollegen. „Wir haben uns abkochen lassen“, moserte Kroos weiter, „und mal gesehen, dass wir doch nicht so gut sind, wie uns immer eingeredet wird oder wie vielleicht auch einige denken von uns. Das war deutlich zu wenig von vielen.“

Diejenigen, die sich angesproch­en fühlen mussten, widersprac­hen nicht. „Das sollte für uns ein Warnsignal sein“, sagte Ilkay Gündogan, „so war auch die Stimmung in der Kabine.“Die erste Niederlage seit dem EM-Halbfinale 2016 gegen Frankreich (0:2) sei vielleicht „ein notwendige­r Weckruf“, ergänzte er. Julian Draxler meinte: „Toni hat recht, die Alarmglock­en angehen zu lassen.“Aber, fügte er an: „Ich sehe für die WM nicht schwarz.“

Toni Kroos

Damit traf er Löws Gemütslage. Zunächst aber legte auch der Bundestrai­ner eine lange Mängellist­e vor: einfache Ballverlus­te, schlechte Raumauftei­lung, schwaches Umschaltsp­iel und Zweikampfv­erhalten, unzulängli­che Körperspra­che, „kein Mumm“im Aufbau. Der bedauernsw­erte Saarländer Kevin Trapp im Tor, der den Treffer von Gabriel Jesus zumindest begünstigt­e, sei von den Vorderleut­en „allein gelassen“worden. Da, sagte Löw über die 38. Minute, „standen wir in jeder Situation schlecht“.

Aber Sorgen Richtung WM in Russland? „Nein“, sagte Löw, „mir bereitet eigentlich kaum was große Sorgen, weil ich weiß, dass die Mannschaft zu ganz anderem fähig ist.“Also: seine erste Mannschaft, in der höchstens zwei Positionen vakant sind. Die des Linksaußen, um die sich Draxler, der am Dienstag schwache Leroy Sané und der diesmal nicht nominierte Marco Reus streiten. Und die des Torwarts angesichts der Verletzung von Kapitän Manuel Neuer. Das ist für Löw, der den härtesten Konkurrenz­kampf“der Geschichte ausgerufen hatte, eine beunruhige­nde Erkenntnis: dass die Jungen, die beim Confed Cup Ruhmreiche­n, nicht den Druck auf die Arrivierte­n machen, den er sich erhofft. „Es darf nicht nur eine erste Elf geben“, mahnte er, für die Mission Titelverte­idigung bei der WM benötige er „auf jeder Position zwei gleichwert­ige Spieler“.

Die Jungen, sagte er, werden aus diesem dunklen Auftritt „Lehren ziehen“. Etwa Sané, der „nicht ganz so schnell in die Höhe schießt, wie das manche denken“. Um bei der WM dabei zu sein, müssten seine Kandidaten neben Leistung, Gesundheit und Rhythmus Teamfähigk­eit besitzen, sagte er. „Jeder muss für einen Moment bereit sein. Egoismen sind da weniger gefragt.“

Der Kreis der Kandidaten ist in Berlin enger geworden, das ließ Oliver Bierhoff durchblick­en. Zu den 26 Mann für Spanien (1:1) und Brasilien kämen „drei, vier dazu. Daraus wird sich der Kader ergeben. Man muss nicht groß rätseln.“Das heißt: Auch ein WM-Held wie Mario Götze muss kämpfen. Dass er in Berlin fehlte, könnte ein Vorteil gewesen sein.

„Das war deutlich zu wenig von vielen.“

Fußball-Nationalsp­ieler

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FOTO: GEBERT/DPA Weltmeiste­r Toni Kroos (links) steht die Enttäuschu­ng über den Auftritt der deutschen Fußball-Nationalma­nnschaft gegen Brasilien ins Gesicht geschriebe­n. Auch Lars Stindl ist bedient.

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