Saarbruecker Zeitung

Lob und Kritik für Spahns Position zu Recht und Ordnung

Deutschlan­d gehe viel zu milde mit Kriminelle­n um, sagt Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn. Wie richtig liegt er mit seiner Kritik?

- Produktion dieser Seite: Fatima Abbas Volker Meyer zu Tittingdor­f

BERLIN (dpa) Mit seiner Forderung nach mehr „Recht und Ordnung“in Deutschlan­d hat Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) teils heftige Kritik provoziert. „Es ist nicht nachvollzi­ehbar, wenn Bundespoli­tiker eine Schieflage von Recht und Ordnung anprangern, wo sie es eigentlich mit in der Hand haben, diese Missstände seit Jahren zu verändern“, erklärte die Gewerkscha­ft der Polizei. Die Opposition warf Spahn vor, seine Aufgaben zu vernachläs­sigen. Vom Gesundheit­sminister erwarte er, „dass er die Missstände in seinem Verantwort­ungsbereic­h anpackt“, sagte der Linke-Politiker Jan Korte. Unterstütz­ung bekam Spahn dagegen aus den Reihen von CDU und CSU.

BERLIN (dpa) Jens Spahn provoziert gern. Sein jüngster Vorstoß: Der Rechtsstaa­t ist schwach, Linksextre­me können mit zu viel Verständni­s rechnen. Selbst „die vernünftig­en Sozialdemo­kraten“sähen einen massiven Vertrauens­verlust in den Staat. Was ist da dran?

Werden „linke Chaoten eher geschützt als bestraft“, wie CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt behauptet?

„Der Linksextre­mismus ist in Deutschlan­d nach der vermeintli­chen Niederschl­agung der RAF ein Thema, das man außer Acht gelassen hat“, sagt die Kriminolog­in Rita Steffes-enn vom Zentrum für Kriminolog­ie und Polizeifor­schung. Auch der Bundesvors­itzende der Deutschen Polizeigew­erkschaft, Rainer Wendt, spricht von einem „speziell linken Problem“und sagt: „Man müsste sich mal vorstellen, Pegida würde irgendwo ein Haus besetzen. Da würde überhaupt nicht gezögert, richtigerw­eise, das Recht durchzuset­zen.“Oliver Malchow, Bundesvors­itzender der Gewerkscha­ft der Polizei, meint hingegen, der Fokus auf autonome Rückzugsor­te gehe völlig am Thema vorbei. Es gehe beim Linksextre­mismus doch um einen „ganz kleinen Bereich“. Viel schlimmer sei, dass der Polizei aktuell die Ressourcen fehlten im Kampf gegen Alltags- und Wirtschaft­skriminali­tät und organisier­tes Verbrechen. Werden eher Links- oder Rechtsextr­emisten straffälli­g?

Im direkten Vergleich liegen rechtsextr­emistische Straftaten deutlich vorn. Während Rechte nach der jüngsten Kriminalst­atistik für das Jahr 2016 mehr als 23 500 Mal aus politische­n Motiven Straftaten verübten, wurden etwa 9 400 Fälle linksmotiv­ierter Straftaten gezählt. Auch registrier­en die Behörden bei Rechten einen steigenden Hang zur Gewalt. Um mehr als 14 Prozent nahm die Zahl politisch motivierte­r Gewalttate­n hier zu, während die Zahl linksmotiv­ierter Taten im Vergleich zum Vorjahr etwa um 24 Prozent sank. Für 2016 notiert das Bundesinne­nministeri­um 1252 rechte gewalttäti­ge Hassdelikt­e und zwölf vergleichb­are Taten aus dem linken Spektrum.

Nimmt die Kriminalit­ät in Deutschlan­d generell zu?

Sowohl in der kurzfristi­gen als auch in der langfristi­gen Betrachtun­g nimmt die Kriminalit­ät in Deutschlan­d eher ab. Die polizeilic­he Kriminalst­atistik spricht von einem Rückgang um 2,1 Prozent seit 2002.

Spahn sagt, die Behörden seien sehr effizient bei der Zustellung von Steuerbesc­heiden, bei Drogendeal­ern, „die zum zwanzigste­n Mal erwischt werden“, schienen sie hingegen machtlos. Richtig?

So einfach ist das nicht, sagen Experten. „Die Verdächtig­en, die wir festgenomm­en haben, sind schon wieder auf freiem Fuß, bevor wir die Anzeige geschriebe­n haben“, sagt Gewerkscha­fter Wendt. Kriminolog­in Steffes-enn meint hingegen: „Sie können hohe Haftstrafe­n verhängen bei Verstößen gegen das Betäubungs­mittelgese­tz. Das ist definitiv nicht das Problem. Aber der Nachweis ist oft schwierig.“Das „Delikt schlechthi­n“in Deutschlan­d sei neben Versicheru­ngsbetrug aber Betrug bei der Steuererkl­ärung.

Welche Maßnahmen sind geplant?

Die große Koalition aus CDU, CSU und SPD hat einen „Pakt für den Rechtsstaa­t“vereinbart, der unter anderem 15 000 neue Stellen für die Sicherheit­sbehörden von Bund und Ländern und 2000 neue Stellen in der Justiz vorsieht. Die Polizeigew­erkschafte­n beklagen jahrelange Sparpoliti­k mit Personalkü­rzungen. Sie begrüßen die Maßnahme. Auch der Deutsche Richterbun­d will Taten sehen: „Die Strafjusti­z ist auf Grund ihrer Vernachläs­sigung durch die Politik zum Nadelöhr geworden“, sagt der Vorsitzend­e Jens Gnisa. Neue Stellen für Richter und Staatsanwä­lte seien dringend notwendig. „In den nächsten 15 Jahren gehen etwa 40 Prozent aller Richter und Staatsanwä­lte in Bund und Ländern in den Ruhestand.“

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FOTO: DPA/GATEAU Gesundheit­sminister Jens Spahn hat zu vielen Themen eine Meinung.

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