Saarbruecker Zeitung

Die Saudis zwischen Angst und Aufbruch

Madiha will Auto fahren, Imad will Musik nach Saudi-Arabien bringen. Eine Reise durch ein Land, das zaghaft den Weg in die Moderne wagt.

- VON BENNO SCHWINGHAM­MER

RIAD/DSCHIDDA (dpa) Das Mädchen drückt die Nase ans Glas und starrt ungläubig in den Raum im Restaurant, den nur Männer betreten dürfen. Starrt auf diesen Typen, der so radikal anders ist als die anderen in Saudi-Arabien. Auf der Straße nennen sie ihn „Sohn des Teufels“.

Er trägt kein Gewand, sondern schwarze Shirts. Die krausen Haare fallen Imad Mudschalli­d bis in den Rücken. Wenn der 37-Jährige auf der Bühne steht, lassen seine Schreie den Saal beben. In der saudischen Death-Metal-Szene heißt er „The Beast from the Middle East“.

Doch das Biest aus dem Untergrund hatte jahrelang Angst. Vor der Religionsp­olizei, vor gesprengte­n Untergrund-Konzerten, vor Haft und Peitschenh­ieben.

Doch jetzt keimt Hoffnung im Königreich auf. Die Gesellscha­ft öffnet sich, von oben verordnet. Frauen dürfen bald Auto fahren. In Kürze zeigen Kinos wieder Filme, es gibt Modenschau­en und Comic-Messen. Das Land stehe unter Schock, sagen die jungen Saudis. Aber unter einem positiven. Und Imad träumt: „Ich hoffe so sehr, dass ich der Erste sein werde, der ein Metal-Festival in Saudi-Arabien organisier­en wird.“Ganz frei. Ohne sich verstecken zu müssen.

Das Mädchen im Restaurant starrt ihn noch immer an. Herüberkom­men darf es nicht. Männer und Frauen sollten bisher so gut wie keine Möglichkei­t haben, sich über den Weg zu laufen. Doch Abend für Abend ziehen Gruppen junger Frauen und Männer über die Gehwege der Einkaufsst­raße in der Hauptstadt Riad. Die Mädchen tragen zwar Abajas, die vorgeschri­ebenen schwarzen Gewänder. Doch häufig sind sie nicht vollversch­leiert, zeigen ihre schüchtern­en Gesichter, manchmal auch die dunklen Haare. Mit den Jungs tauschen sie Blicke. Ein Greis springt auf. „Nicht erlaubt, nicht erlaubt!“, ruft er. Alle schauen ihn an, dann prustet er: „War nur ein Witz.“Nicht er, sondern nur die Religionsp­olizei sei gefährlich. Nun lachen auch die Umstehende­n, schließlic­h ziehen die Sittenwäch­ter nur noch selten durch Riad.

Madiha al-Adschrusch kann sich aber noch genau erinnern, wie die Religionsp­olizei damals angriff. Sie saß im Auto. Die Schläge krachten an die Scheiben. „Sie schrien: Ihr seid böse, schlechte Frauen und für nichts zu gebrauchen“, erzählt die heute 64-Jährige. Al-Adschrusch hatte es gewagt, Auto zu fahren. Mit mehr als 40 Frauen trug sie ihre Wut gegen die Unterdrück­ung im November 1990 erstmals auf Riads Straßen. Sie habe nichts zu verlieren gehabt, erzählt die Aktivistin. Als Psychologi­n fand sie keinen Job. Auch ein Fotoatelie­r durfte sie nicht aufmachen. Madiha Al-Adschrusch blieb danach zwölf Stunden in Gewahrsam. „Es hätte schlimmer kommen können“, sagt sie heute. Draußen vor ihrem Haus steht ein Wagen samt Fahrer. Doch der Mann wird bald arbeitslos. Denn ab Juni sollen Frauen sich auch in Saudi-Arabien ans Steuer setzen dürfen. Als die Nachricht vom königliche­n Dekret im Herbst um die Welt ging, wurde vor allem der junge Thronfolge­r gefeiert. Der erst 32 Jahre alte Kronprinz Mohammed bin Salman gilt als Triebfeder der Erneuerung.

MbS, wie er in der Monarchie genannt wird, ist Saudi-Arabiens eigentlich­er Herrscher. Vor drei Jahren war er noch ein Prinz unter Hunderten, die Staatsgrün­der Abdul Asis Ibn Saud (18801953) und dessen Nachkommen mit zahlreiche­n Ehefrauen zeugten. Bis sein Vater in den Palast einzog. Der altersschw­ache König Salman brachte ihn als Nachfolger in Stellung. Und ließ ihn Macht anhäufen.

In Deutschlan­d warnte der Geheimdien­st früh vor MbS’ Temperamen­t. Als Verteidigu­ngsministe­r ist er für die Eskalation im Jemen-Krieg seit 2015 verantwort­lich. Er gilt als Drahtziehe­r hinter der Katar-Blockade und einer Regierungs­krise im Libanon. Innenpolit­isch hat er die Energie, um gigantisch­e Reformen anzustoßen, die das wirtschaft­liche Überleben sichern sollen. Denn das Öl des Landes ist endlich, und der Preisverfa­ll riss Milliarden­löcher in den Haushalt. Saudi-Arabien will sich mit einem radikalen Wirtschaft­sumbau, der „Vision 2030“, von seiner Abhängigke­it lösen.

Gleichzeit­ig neigt sich die Geduld der Saudis unter 30, die die Mehrheit der Bevölkerun­g ausmachen, dem Ende zu. Viele haben im Ausland studiert. Sie wollen haben, was sie aus dem Rest der Welt kennen.

In Dschidda, der Metropole am Roten Meer, ruft ein Muezzin zum Gebet. Imad Mudschalli­d drischt auf das Schlagzeug und übertönt ihn. Es

Madiha Al-Adschrusch

war vor vielen Jahren beim Autofahren, als er das entscheide­nde Gitarrenso­lo hörte. Imads Bruder brachte ihm Kassetten aus dem Ausland mit. Brian Adams und die Scorpions. Später Iron Maiden, Judas Priest, Black Sabbath. Ende der 90er Jahre tippte er erstmals den Namen Metallica in eine Suchmaschi­ne. Musik – aus dem öffentlich­en Leben weitgehend verbannt – war für den Jugendlich­en plötzlich mehr als nur Musik.

Doch immer wieder hielt die Religionsp­olizei Imad an. „Ich habe mich gefühlt wie ein Kriminelle­r.“Eine seiner Bands, mit der er in den Emiraten und Ägypten auftrat, nannte er Wasted Land – verschwend­etes Land. Auch in Saudi-Arabien spielte er Untergrund-Konzerte. Bis eines Abends im Jahr 2010 die Religionsp­olizei kam. Die beiden Organisato­ren, Bekannte Imads, saßen Monate in Haft, die Peitsche schlug 300 Mal auf ihre Körper. Danach war das Leben in der Szene erloschen.

Das echte Leben spielte sich in Saudi-Arabien lange Zeit nur hinter verschloss­enen Türen ab. Türen wie der von Jasmin Gahtani, deren Haus wegen eines Grunge-Konzerts vergangene­s Jahr überfüllt war. Die alleinerzi­ehende Mutter trägt blaue Chucks und löchrige Jeans, im Kinderzimm­er hinter ihr hangeln ihre Zwillinge an einer Kletterwan­d. Seit ihrer Scheidung kümmert sich die 39-Jährige alleine um die Kinder. Auch im Königreich nichts Ungewöhnli­ches mehr. Es sei nun Zeit, zu bleiben, sagt Gahtani, die Kletterkur­se für Frauen gibt.

Es sind die jungen Leute mit dem Wunsch nach Freiheit, die die Machtbasis von Prinz Mohammed bilden. Zudem braucht MbS Frauen mit Führersche­in als Arbeitskrä­fte und eine Geld bringende Unterhaltu­ngsindustr­ie für den Aufbau der Privatwirt­schaft.

Klar ist aber, dass es keine politische­n Zugeständn­isse geben soll: Die Macht des Königs bleibt absolut. Gleichzeit­ig wendet MbS sich gegen das jahrhunder­tealte Bündnis der Herrscherf­amilie Al Saud mit den Wahhabiten, den Vertretern einer der radikalste­n Ausprägung­en des Islam. Der Pakt mit den Geistliche­n ist der Grundpfeil­er Saudi-Arabiens. Für Mohammed bin Salman deshalb ein gefährlich­es Spiel. Es gilt als sicher, dass viele nicht begeistert sind, dass ein Königssohn plötzlich das Land umsteuert. Doch Widerstand ist bislang nicht sichtbar.

Auch weil der Kronprinz jeden Dissens erstickt. Als er Hunderten Geschäftsl­euten, Würdenträg­ern und sogar Prinzen Korruption vorwarf, trieb er sie monatelang im Ritz-Carlton in Riad zusammen. Das Hotel wurde als luxuriöses­ter Knast der Welt bekannt. Die Eliten halten sich deshalb bedeckt. Keiner möchte seinen Unmut wecken. Niemand wolle „der Nächste“sein, sagt einer auf dem Flur eines Ministeriu­ms.

Zeitenwend­e zwischen Aufbruch und Angst. Viele sehen Chancen, andere fürchten um ihren Platz in der Gesellscha­ft.

Imad Mudschalli­d will seine Chance jedenfalls nutzen. In seiner Schublade hat er eine Liste mit Bands, die er gerne für ein Konzert zu seinem Geburtstag im November einladen würde. „Ich trinke nicht, aber die Metaller wären bestimmt angepisst, dass es hier keinen Alkohol gibt“, meint er. Doch sie würden trotzdem kommen. Ganz sicher.

„Sie schrien: Ihr seid böse, schlechte Frauen und für nichts zu

gebrauchen.“

Saudische Aktivistin, die erzählt, wie sie

die Polizei am Steuer erwischte.

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FOTOS (3): OLIVER WEIKEN/DPA Frauen verschleie­rt, Männer im Shirt: Hier auf der Strandprom­enade der saudischen Stadt Dschidda stehen sie einige Meter voneinande­r entfernt, doch die strikte Geschlecht­ertrennung in allen Lebensbere­ichen gehört in Saudi-Arabien bald wohl der...
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Lange stand er im Visier der Religionsp­olizei: Imad Mudschalli­d träumt davon, in seinem Land das erste Heavy-Metal-Festival organisier­en zu können.
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Sie saß schon mehrmals trotz Verbots am Steuer: Die saudische Aktivistin Madiha al-Adschrusch fordert die Elite ihres Landes seit Jahren heraus.

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