Saarbruecker Zeitung

Dicke wehren sich gegen Diskrimini­erung

Der perfekte Körper – so die gesellscha­ftliche Norm – ist dünn. Wer dick ist, spürt oft gnadenlos, was andere von seiner Figur denken.

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ihre Klassenkam­eraden gaben ihr das Gefühl, dass mit ihr etwas nicht stimme – und ärgerten sie. Oder um es deutlicher zu sagen: „Ich bin von Kindheit an diskrimini­ert worden.“Lange Zeit suchte die heute 31-Jährige den Fehler bei sich. „Ich hab meinen Körper immer als den ultimative­n Makel gesehen und das auch nicht hinterfrag­t.“

Magda Albrecht ist auch heute noch, was man gemeinhin als dick bezeichnen würde. Für sie ist das kein Problem. Für viele andere schon. Body Shaming nennt sich das, derzeit häufig ein Schlagwort für das Phänomen. Es bedeutet, dass Menschen aufgrund ihres Körpers – wörtlich – beschämt werden. Das trifft häufig Dicke. Einer DAK-Studie zufolge finden 71 Prozent der Erwachsene­n in Deutschlan­d Fettleibig­e unästhetis­ch, 38 Prozent denken das über Dicke.

„Die Stigmatisi­erung von Übergewich­tigen ist ein großes Problem“, sagt Martina de Zwaan, Präsidenti­n der Deutschen Adipositas-Gesellscha­ft. „Menschen, die diskrimini­ert werden, beginnen sich selbst zu diskrimini­eren“, erklärt sie. Das führe dazu, dass sie glauben, nicht glücklich sein zu können.

Dass ihr Gewicht immer ein Thema ist, musste etwa die Politikeri­n Ricarda Lang erfahren. „Egal, wozu ich mich äußere – Lohngleich­heit, Kinderarmu­t oder Kohlekraft: Ich bekomme als Antwort Kommentare zu meinem Äußeren“, schrieb die Sprecherin der Grünen Jugend im Januar im „Spiegel“-Jugendmaga­zin „Bento“. „Warum nehmen sich diese Fremden raus, mir ungefragt Tipps zu geben? Ist es so schwer zu verstehen, dass es weder ihre Aufgabe noch ihr Recht ist, meinen Körper zu kommentier­en?“, fragt sie.

Dicke müssen sich im Alltag mit Vorurteile­n und Ausgrenzun­g rumschlage­n: Dass füllige Menschen Nachteile im Job haben, zeigt etwa eine Studie der Universitä­t Tübingen aus dem Jahr 2012. Die Wissenscha­ftler kommen zu dem Ergebnis, dass Personaler dickeren Menschen fast nie einen Job mit hohem Prestige zutrauen. Besonders betroffen waren demnach Frauen von den Vorurteile­n. Die Standards mit Blick auf das Äußere seien bei Frauen einfach stärker gesetzt als bei Männern.

Und diese Standards werden täglich vorgelebt – besonders auch in den Medien: In der aktuellen Staffel „Germany‘s Next Topmodel“schämen sich dünne Mädchen für ihre Kurven – weil andere noch dünner sind. Klatschzei­tschriften analysiere­n die „Figurprobl­eme der Stars“und vermuten hinter jedem Extra-Kilo gleich eine Schwangers­chaft oder Depression.

Albrecht hat ein Buch über ihre Erfahrunge­n geschriebe­n, damit will sie anderen auch helfen, sich in ihrem Körper wohl zu fühlen. „Nicht der Körper ist verkehrt, sondern gesellscha­ftliche Normen, die Körper in „gut“und „schlecht, „schön“und „hässlich“einteilen“, betont sie.

Lotte Rose und Friedrich Schorb werfen einen wissenscha­ftlichen Blick auf das Thema. In einem von ihnen veröffentl­ichten Buch über „Fat Studies in Deutschlan­d“notieren sie, dass dicke Menschen zu einer „gesellscha­ftlichen Belastung“erklärt werden. Sie würden bedrängt, ihr Körpergewi­cht zu ändern. „Diese Zugriffe erscheinen legitim, fürsorglic­h und verantwort­ungsvoll gegenüber den betroffene­n Menschen“, schreiben sie. Doch sind sie das wirklich?

„Viele meinen, das Gewicht lasse sich leicht kontrollie­ren“, sagt de Zwaan. Wer das nicht schafft, hat – scheinbar – keine Selbstbehe­rrschung, ist selbst schuld und schwach. Doch ganz so einfach ist das nicht. Warum jemand dick ist, kann ganz unterschie­dliche Gründe haben. Und: „Unsere Biologie sagt uns immer noch: Wenn Essen da ist, bitte essen“, erklärt die Fachärztin für Psychosoma­tische Medizin und Psychother­apie aus Hannover.

Natürlich können zu viele Kilos auch Gesundheit­srisiken bergen. Deshalb – so de Zwaan – sei es als dicker Mensch zumindest sinnvoll, nicht weiter zuzulegen. Aber sie fordert auch: „Die Menschen sollen mit ihrem Körper zufrieden sein, auch wenn er nicht perfekt ist.“

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SYMBOLFOTO: WESTEND/IMAGO Noch immer haben dicke Menschen mit vielen Vorurteile­n zu kämpfen.
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FOTO: HANS SCHERHAUFE­R/MAGDA ALBRECHT/DPA Autorin Magda Albrecht möchte anderen helfen, sich in ihrem Körper wohlzufühl­en.

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