Saarbruecker Zeitung

Das Hochhaus-Herz Saarbrücke­ns schlug nie

Nach 1945 wollten die Franzosen an der Saar ihre Visionen von moderner Architektu­r realisiere­n. Ihr Scheitern beschreibt Paul Burgard.

- VON DIETMAR KLOSTERMAN­N

Im Saarland hält sich eine Franzosen-Seligkeit. Da werden Zeitgenoss­en beobachtet, die das Kreuz-Wappen des Saarlandes aus der Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Aufkleber an ihren Autos zur Schau stellen. Viele trauern dieser Zeit hinterher, vor allem wenn über die Volksabsti­mmung 1955 gesprochen wird, bei der sich zwei Drittel der Saarländer gegen ein von Deutschlan­d unabhängig­es „Saarländle“am Rockzipfel Frankreich­s aussprache­n. „Ach!“, wird geseufzt. „Wenn die Saarländer nur damals anders entschiede­n hätten. Dann wäre das Saarland so wie Luxemburg geworden. Ein reiches Steuerpara­dies mit EU-Einrichtun­gen und Banken.“

Die Architektu­r-Moderne, die auf Luxemburgs Kirchberg entstanden ist, war dabei im Saarland längst geplant. Denn zu den Stoß-Seufzenden, die auch den hochfliege­nden Architektu­r-Plänen der Franzosen hinterhert­rauern, gehören auch diejenigen, die in diesen Tagen wacker die ehemalige französisc­he Botschaft in Saarbrücke­n, das Bauwerk von Georges-Henri Pingusson verteidige­n. Denn im Saarland gibt es nicht wenige, die den Pingusson-Bau, der durch den Bau der Stadt-Autobahn 620 Anfang der 1960er Jahre seines großzügige­n Entrees brutal beraubt wurde, lieber heute als morgen abreißen lassen möchten. Diese Zeitgenoss­en beleidigen das architekto­nisch zweifellos herausrage­ndste Gebäude aus der Zeit des französisc­hen Interregnu­ms an der Saar bis 1955 als „Pinguin-Bau oder schmales Handtuch“. Dabei tut die CDU/SPD-Landesregi­erung, die ihre „Frankreich-Strategie“wie eine Monstranz vor sich herträgt, durch ihre bisher kaum sichtbaren Renovierun­gsbemühung­en an dem seit dem Umzug des Kultusmini­steriums in die Alte Post leerstehen­den Pingusson-Bau kaum etwas, um offensiv für dieses einzigarti­ge Bauwerk zu werben.

In dem aktuellen Heft 50 der „Saargeschi­chten. Magazin zur regionalen Kultur und Geschichte“(ISSN: 1866-573x) greift der beim Landesarch­iv beschäftig­te Historiker Paul Burgard in seinem dritten und letzten

Titel des Beitrags von Paul Burgard

in den „Saargeschi­chten“

Teil einer Serie über „Das Scheitern der französisc­hen Urbanisten: Die Schlösser des Monsieur Grandval“das Thema unter dem Titel auf, „Warum die Hochhäuser Luftschlös­ser blieben“. Dabei gelingt es Burgard anhand neuer Quellenfun­de aufzuzeige­n, dass die französisc­he Miltärregi­erung unter dem dem Hohen Kommissar Gilbert Grandval und die Top-Architekte­n mit ihren Hochhauspl­änen in Saarbrücke­n beileibe nicht allein an der konservati­ven bis reaktionär­en Grundhaltu­ng der Saarländer scheiterte­n. Es waren vor allem Probleme mit den Grundstück­eigentümer­n und die fehlenden finanziell­en Mittel, die den großen Wurf, den Pingusson bereits 1946 für Saarbrücke­n zu Papier gebracht hatte, verhindert­en.

Nach diesen Plänen wäre in Alt-Saarbrücke­n, etwa da wo heute Saartoto und die „Saarbrücke­r Zeitung“residieren, eine große Fläche mit Hochhäuser­n zugestellt worden, ebenso auf der anderen Saarseite, wo heute die Congressha­lle steht und sich der Bürgerpark erstreckt (siehe Foto). An der Preußenund Bayernstra­ße hätten sich die heutigen mehrstöcki­gen Wohnhäuser noch viel höher in den Himmel gereckt. In St. Arnual wäre der ehemalige Militärlan­deplatz zum Flughafen direkt hinter der Stiftskirc­he geworden. Und ein großes Fußballsta­dion war auf den Daarler Wiesen geplant, was den heutigen Dauerärger mit dem Ludwigspar­kstadion erspart hätte.

Burgard bilanziert, dass die Utopien der Franzosen durchaus ihren Platz in der Saar-Geschichte verdient hätten. „Wie die wenigen schönen Steine, die von den Schlössern des Monsieur Grandval tatsächlic­h übrig geblieben sind,“so Burgard. Vielleicht kann das Saarland dankbar sein. Wenn all die Wolkenkrat­zer und die breiten Autobahnen gebaut worden wären, hätte es ausgesehen wie in den französisc­hen Banlieues wie Crèteil bei Paris. So kann der Pingusson-Bau als ein Mahnmal für architekto­nische Fehlentwic­klungen angesehen werden.

„Warum die Hochhäuser Luftschlös­ser blieben“.

 ?? FOTO: LANDESARCH­IV/WALTER BARBIAN ?? Erster Spatenstic­h für einen Neubau an der Saar-Uni 1952: Rektor Joseph-Francois Angelloz (ganz l.) erläutert Saar-Premiert Johannes Hoffmann, dem Hohen Kommissar Gilbert Grandval, Justizmini­ster Erwin Müller und Heinz Braun, Präsident der Europa-Union...
FOTO: LANDESARCH­IV/WALTER BARBIAN Erster Spatenstic­h für einen Neubau an der Saar-Uni 1952: Rektor Joseph-Francois Angelloz (ganz l.) erläutert Saar-Premiert Johannes Hoffmann, dem Hohen Kommissar Gilbert Grandval, Justizmini­ster Erwin Müller und Heinz Braun, Präsident der Europa-Union...
 ?? FOTO: DIE SAAR. STÄDTEBAU 1946/LANDESARCH­IV ?? Modell der Stadt Saarbrücke­n nach den Plänen von Georges-Henri Pingusson von 1946. Hinten links die Hochhäuser in der Innenstadt, hinten rechts die an der Preußenstr­aße.
FOTO: DIE SAAR. STÄDTEBAU 1946/LANDESARCH­IV Modell der Stadt Saarbrücke­n nach den Plänen von Georges-Henri Pingusson von 1946. Hinten links die Hochhäuser in der Innenstadt, hinten rechts die an der Preußenstr­aße.

Newspapers in German

Newspapers from Germany