In Berlin verhaftete Islamisten sind wieder frei
Die sechs jungen Männer, denen die Ermittler einen Anschlag auf den Halbmarathon zutrauten, sind wieder frei. Der Verdacht erhärtete sich nicht.
BERLIN (dpa) Sechs mutmaßliche Islamisten, die parallel zum Berliner Halbmarathon festgenommen worden waren, sind wieder auf freiem Fuß. Die Männer im Alter von 18 bis 21 Jahren wurden aus dem Polizeigewahrsam entlassen, gegen sie ergingen keine Haftbefehle, wie die Berliner Staatsanwaltschaft mitteilte. Es gebe keinen dringenden Tatverdacht. Die Ermittler hatten den Männern einen Anschlag auf den Halbmarathon zugetraut. Doch der Verdacht erhärtete sich nicht.
(dpa) Während Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) den Berliner Halbmarathon startet und sich Zehntausende Läufer auf den Weg machen, schlägt die Polizei zu. Spezialeinheiten nehmen am Sonntag sechs junge Männer aus der islamistischen Szene fest und durchsuchen ihre Wohnungen. Schnell wird aber klar: Einen konkreten Terroranschlag auf den Halbmarathon hatten die Verdächtigen nicht geplant. Trotzdem halten Polizei und Politiker den Zugriff in der Situation für richtig. „Wir gehen auf Nummer sicher“, sagte ein Sprecher des Innensenators gestern.
Laut Polizei gab es vor dem Halbmarathon Hinweise, die zu einem Anfangsverdacht geführt hätten. „Und dann muss man abwägen: Greift man zu oder nicht“, sagte der Sprecher. Wo die Hinweise herkamen, wollte die Polizei nicht sagen. In Frage kommen das Umfeld der Verdächtigen, von der Polizei abgehörte Telefonate oder mitgelesene Chats oder Quellen von Geheimdiensten.
Einen Tag später, am gestrigen Montag gegen 15 Uhr, werden die sechs Männer im Alter von 18 bis 21 Jahren wieder freigelassen. Einen Haftbefehl gab es nicht, wie der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, mitteilte. Die Polizei fand bei den Durchsuchungen weder Waffen noch Sprengstoff noch sonstige konkrete Terrorhinweise.
Anders als bei früheren Fällen blocken Polizei und Staatsanwaltschaft bei Informationen zu Herkunft, Nationalität und früheren Vergehen der Verdächtigen ab. Lapidar hieß es nur: „Die Personen sind uns nicht unbekannt.“Zwei Männer werden laut Staatsanwaltschafts-Sprecher dem islamistischen Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt, Anis Amri, zugerechnet. Mindestens ein Verdächtiger ist ein sogenannter Gefährder – also ein Mann, dem die Behörden einen Terroranschlag zutrauen. Nach Zeitungsberichten soll einer der Männer, ein in Berlin geborener Deutsch-Tunesier, bereits im Gefängnis gesessen haben. Nach seiner Entlassung wurde er demnach von der Polizei observiert. Andere Verdächtige hätten die türkische oder die deutsche Staatsangehörigkeit.
Die Hauptstadt-Polizei, die zuletzt häufig in der Kritik stand, will nach den Ermittlungspannen vor dem Anschlag von Amri unter allen Umständen Fehler vermeiden. Eine Festnahme wie in diesem Fall kann der Szene auch signalisieren: Wir haben Euch im Blick und handeln vorbeugend, auch wenn es für einen Haftbefehl nicht reicht. Innensenator Geisel betonte: „Im Zweifel geht es um die Sicherheit der Bürger dieser Stadt und ihrer Gäste.“Staatsanwalt Steltner sagte: „Oberstes Gebot war: kein Risiko durch Warten.“
Zustimmung kam auch vom neuen CSU-Innenminister Horst Seehofer. Vor dem Hintergrund der aktuellen Gefahrenlage sei „es richtig, wenn die Sicherheitsbehörden sehr aufmerksam sind und auch Konsequenzen ziehen, wenn es aus ihrer Sicht notwendig ist“.
Der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster erklärte: „Ich halte diese offensive Vorgehensweise für richtig, vor allem da ein bekannter Gefährder unter den Festgenommenen war.“Im Fall Amri habe man damals „falsch reagiert“. Daraus seien nun die Konsequenzen gezogen worden.
Früher kam bei ähnlichen Festnahmen von der Opposition die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Das ist seit dem Anschlag in Berlin anders. Konstantin von Notz, Vize-Chef der Grünen-Fraktion im Bundestag, sagte: „Es ist gut, wenn die Sicherheitsbehörden in diesem Bereich auch weiterhin sehr wachsam sind.“Der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek, meinte: „Wir sehen, dass jetzt präventiv gehandelt wird, nach dem Motto ‚Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig’.“Beide kritisierten aber den Vorstoß von Innen-Staatssekretär Stephan Mayer (CSU), der Dschihadisten mit Doppelpass die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen will. Wichtiger sei – unabhängig vom Pass – eine „konsequente Abschiebung von Gefährdern“, sagte Radek.
Die deutschen Polizei- und Geheimdienstbehörden stufen derzeit 760 Menschen als islamistische Gefährder ein. Nicht alle von ihnen sind gleich aktiv, manche kämpfen in Syrien oder sitzen im Gefängnis. Rund die Hälfte von ihnen hat einen deutschen Pass.