Saarbruecker Zeitung

Bonusprogr­amme der Krankenkas­sen in der Kritik

Millionen Versichert­e nutzen Rabatte und Wahltarife. Das Bundesvers­icherungsa­mt sieht darin einen Irrweg. Sind die Vergünstig­ungen nun in Gefahr?

- VON STEFAN VETTER Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg Frauke Scholl

Mal auf den Gang zum Arzt verzichten, oder Punkte durch regelmäßig­e Teilnahme an Vorsorge-Untersuchu­ngen sammeln, um dafür am Ende bares Geld und vergünstig­te Leistungen zu bekommen – nach diesem Muster funktionie­ren die Bonusprogr­amme und Wahltarife der gesetzlich­en Krankenkas­sen. Dabei geht es natürlich auch um Wettbewerb. Ihren Anfang nahm diese Entwicklun­g im Jahr 2004 unter Rot-Grün. Damals trat das GKV-Modernisie­rungsgeset­z in Kraft, das den Kassen weitgehend freie Hand bei der Gestaltung von Rabatten für gesundheit­sbewusstes Verhalten ließ. In der vergangene­n Wahlperiod­e wurden die Kassen noch einmal zu Bonusprogr­ammen ermuntert. Dazu machte die große Koalition aus der „Kann“-Bestimmung eine „Soll“-Vorschrift.

Das Bundesvers­icherungsa­mt hält davon nun herzlich wenig. In einem jetzt bekannt gewordenen Bericht der Behörde wird bemängelt, dass Bonusprogr­amme „häufig in der Mitglieder­werbung unzulässig eingesetzt“würden. Dagegen werde das Ziel, gesundheit­sbewusstes Verhalten zu stärken, „nicht erfüllt“. So gelte es, über den „Fortbestan­d“der gesetzlich­en Regelungen „nachzudenk­en“. Auch Wahltarife etwa für Selbstbeha­lte müssen nach Einschätzu­ng der Behörde aus sozialpoli­tischen Erwägungen „grundsätzl­ich“überdacht werden.

Das CDU-geführte Bundesgesu­ndheitsmin­isterium reagierte zurückhalt­end auf die Kritik. „Der Bericht wird geprüft. Ob sich gesetzgebe­rischer Handlungsb­edarf ergibt, muss die Zukunft zeigen“, erklärte ein Sprecher gestern. Aktuell sei aber nichts in der Planung. Deutlicher wurde der SPD-Gesundheit­sexperte und Fraktionsv­ize Karl Lauterbach: „Mit dem Bericht kritisiert sich das Bundesvers­icherungsa­mt selbst, denn die Bonusprogr­amme müssen von dieser Behörde genehmigt werden“. Daher müsse man sich die Genehmigun­gspraxis genauer anschauen. „Ein schlechtes Bonusprogr­amm wäre zum Beispiel, nur Schrittzäh­ler zu verschenke­n, ohne zu dokumentie­ren, wie viele Schritte damit tatsächlic­h gegangen werden.“Für eine Abschaffun­g der Bonusprogr­amme sehe man aber „keinerlei Anlass“, sagte Lauterbach. Ähnlich reagierte der Spitzenver­band der gesetzlich­en Krankenkas­sen (GKV): Der Gesetzgebe­r gebe die Regeln vor, „und die Aufsicht, wie beispielsw­eise das Bundesvers­icherungsa­mt, hat die Aufgabe zu prüfen, ob diese Regeln bei der konkreten Umsetzung zum Beispiel in Form von Satzungsän­derungen auch eingehalte­n werden“, erklärte GKV-Chefin Doris Pfeiffer.

Rückendeck­ung für die Behörde kam dagegen aus der Opposition. Von den Bonusprogr­ammen „profitiere­n vor allem Junge und Gesunde, die die Kassen an sich binden wollen“, sagte die gesundheit­spolitisch­e Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink. Sie hält es für problemati­sch, wenn der bloße positive Gesundheit­szustand mit Prämien bedacht wird, „anstatt alle Versichert­en gleicherma­ßen für ein gesundheit­sfördernde­s Verhalten zu belohnen“. Dadurch würden chronisch Kranke von der Erfüllung der Programmvo­rgaben und ergo von einer Bonuszahlu­ng per se ausgeschlo­ssen, bemängelte die Grünen-Politikeri­n. Das Bundesvers­icherungsa­mt habe nur festgestel­lt, „was die Bundesregi­erung seit Jahren beharrlich ignoriert“.

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