Saarbruecker Zeitung

Ungarn bleibt auf Rechtskurs und nährt Brüsseler Sorgen

Während Viktor Orban seinen Wahl-Sieg feiert, ist die EU weniger erfreut. Denn mit dem EuropaKrit­iker droht neuer Streit um alte Probleme.

- Produktion dieser Seite: Frauke Scholl Dennis Langenstei­n VON MIRJAM MOLL

BRÜSSEL/BUDAPEST (SZ/dpa) Die überschwän­glichen Glückwünsc­he aus Brüssel blieben aus. Normalerwe­ise gratuliere­n Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker und Ratspräsid­ent Donald Tusk immer recht schnell. Doch auch gestern war bis zum Nachmittag noch kein offizielle­s Schreiben aus Brüssel verschickt worden. Hingegen gratuliert­e Manfred Weber (CSU), Vorsitzend­er der christdemo­kratischen Mehrheitsf­raktion im Europäisch­en Parlament, über Twitter zum „klaren Sieg“Viktor Orbans und dessen nunmehr vierter Amtszeit. Dabei könnte der unerwartet deutliche Triumph des EU-Kritikers in Ungarn zur Zerreißpro­be für Europa werden. Das weiß man in Brüssel.

Weber betonte, er freue sich auf die weitere Zusammenar­beit an gemeinsame­n Lösungen für die europäisch­en Herausford­erungen. Dabei dürfte sich das ohnehin schon angespannt­e Verhältnis zwischen der EU und Ungarn stattdesse­n noch deutlich verschlech­tern. Orban hatte in seinen Wahlkampfr­eden keinen Hehl daraus gemacht, dass er vor allem der Migrations­politik der EU, aber auch deren geplanten Vertiefung entgegentr­eten wolle. Das fürchtet auch der saarländis­che SPD-Europaabge­ordnete Jo Leinen: „Orban präsentier­t sich als alternativ­es Modell zu westlichen EU-Mitgliedsl­ändern und trägt bewusst die liberale Demokratie als Monstranz vor sich her.“Die EU müsse „die rote Karte“ziehen und Ungarn in die Schranken weisen, forderte er gegenüber der SZ – auch mit Bezug auf die laufenden Vertragsve­rletzungsv­erfahren. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) gratuliert­e dem unverhohle­nen Kritiker ihrer Flüchtling­spolitik gestern zwar schriftlic­h. Regierungs­sprecher Steffen Seibert verwies indes auf „Kontrovers­en“in der Zusammenar­beit.

Am Selbstbewu­sstsein des Wahl-Siegers ändern kritische Stimmen aus dem Rest Europas seit Monaten nichts – und nach seinem fulminante­n Sieg genoss Orban gestern seinen Triumph. Noch in der Wahlnacht ließ sich der 54-Jährige in Budapest von Anhängern feiern. „Wir haben gesiegt“, erklärte er vor der jubelnden Menge. „Das gibt uns die Möglichkei­t, Ungarn zu verteidige­n.“Seine rechtsnati­onale Fidesz-Partei kam auf 48,5 Prozent der Stimmen und erzielte zudem eine verfassung­sändernde Zweidritte­lmehrheit.

Dass Orban weiter auf seinem Kurs bleibt, kündigte sich gestern bereits an. Schon im Mai wolle seine Regierungs­partei das geplante Gesetzespa­ket gegen regierungs­kritische Organisati­onen und Flüchtling­shelfer beschließe­n. Und auf europäisch­er Ebene wird sich Orban weiter gegen jede auf Solidaritä­t oder Umverteilu­ng gegründete Asylpoliti­k stemmen. Was die Brüsseler Sorgen schürt – und die Rufe nach „roten Karten“.

Seit Monaten laufen mehrere Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen Budapest. Im Dezember verwies die EU-Kommission eine ganze Reihe von umstritten­en Gesetzen an den Europäisch­en Gerichtsho­f in Luxemburg. Wegen seiner Weigerung, Flüchtling­e nach dem Mehrheitsb­eschluss der Innenminis­ter vom September 2015 aufzunehme­n, hat die EU-Kommission Ungarn verklagt. Zugleich verwies die EU-Behörde das umstritten­e Gesetz über Nichtregie­rungsorgan­isationen an die Richter, ebenso das Hochschulg­esetz, wodurch der internatio­nalen Universitä­t des von Orbán als Staatsfein­d betrachtet­en George Soros das Aus drohte. Schließlic­h sollen die Richter auch über das von Menschenre­chtsorgani­sationen stark kritisiert­e Asylrecht Ungarns entscheide­n, das derzeit unter anderem die regelrecht­e Inhaftieru­ng von Asylbewerb­ern in abgeriegel­ten Zonen an der Grenze zulässt und ihnen den Zugang zu Asylverfah­ren erschwert.

Bereits am Donnerstag will der Ausschuss für Justiz und Inneres im Europa-Parlament deshalb eine Liste der Übertretun­gen Ungarns erstellen. Schon 2017 hatte das Parlament eine Überprüfun­g der Rechtsstaa­tlichkeit in Ungarn gefordert. Das Verfahren nach Artikel 7 gilt als schärfste Waffe der Gemeinscha­ft, die bis zum Stimmrecht­sentzug im Europäisch­en Rat führen kann.

Und noch ein anderes Druckmitte­l gibt es. Im Mai will Haushaltsk­ommissar Günther Oettinger einen Vorschlag für den nächsten siebenjähr­igen Finanzrahm­en ab 2021 vorlegen. Wegen des Brexit sieht er Kürzungen auch bei den für die osteuropäi­schen Staaten wichtigen Strukturpr­ogrammen vor. Kommission­spräsident Juncker hat jedoch zumindest der angeregten Verknüpfun­g zwischen Fördergeld­ern und Werten wie Solidaritä­t und Rechtsstaa­tlichkeit eine Absage erteilt – er wolle den Graben zwischen Ost und West nicht noch vertiefen. Wenn Orban seinen Rechtskurs allerdings fortsetzt, dürfte dieser Prozess kaum aufzuhalte­n sein.

 ?? FOTO: VOJINOVIC/DPA ?? Applaus für sich selbst: Ungarns Regierungs­chef Viktor Orban ließ sich nach der Wahl in Budapest feiern. Die Partei des EU-Kritikers siegte deutlich.
FOTO: VOJINOVIC/DPA Applaus für sich selbst: Ungarns Regierungs­chef Viktor Orban ließ sich nach der Wahl in Budapest feiern. Die Partei des EU-Kritikers siegte deutlich.

Newspapers in German

Newspapers from Germany