Saarbruecker Zeitung

Brüssel darf sich von Orban nicht länger vorführen lassen

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Der Wahlsieg von Viktor Orban kann nur als Schlag für die EU begriffen werden. Ungarns alter und neuer Premier hat es mit seinen populistis­chen Parolen und künstliche­r Panikmache, mit Vorurteile­n und Trugbilder­n der Europäisch­en Union geschafft, das Volk hinter sich – und womöglich sogar gegen Brüssel aufzubring­en. Die Angst vor einer muslimisch­en Migrations­welle hat sich als probates Mittel erwiesen, um Wähler zu mobilisier­en und das Land spürbar weiter nach rechts zu rücken. Für die Gemeinscha­ft bedeutet das nichts Gutes.

Ihr muss es nun gelingen, Budapest wieder einzufange­n. Viel zu lange hat Brüssel darüber hinweggese­hen, wie sich Ungarn Schritt für Schritt von den Werten der EU entfernte. Das begann spätestens mit dem umstritten­en Mediengese­tz 2011, ein Jahr zuvor war Orban nach einer Regierungs­pause wiedergewä­hlt worden. Damals schaltete sich die Kommission zwar ein, gab sich aber mit kosmetisch­en Veränderun­gen zufrieden – de facto sind die öffentlich-rechtliche­n Sender seither gleichgesc­haltet. 2014, nach seiner erneuten Wiederwahl, verschärft­e Orban seinen Kurs dann noch weiter.

Immer wieder macht sich der 54-Jährige dabei Kriegsrhet­orik zunutze – er werde Ungarn verteidige­n. Nur wogegen? Flüchtling­e werden schon an der Grenze in gefängnisa­rtige Lager gesperrt, der Zugang zu einem Asylverfah­ren wird ihnen sehr schwer bis unmöglich gemacht. Nichtregie­rungsorgan­isationen müssen ihre Finanzquel­len offenlegen, internatio­nale Universitä­ten werden in ihrer Existenz bedroht. Orbans Rhetorik scheint all das zu rechtferti­gen. „Die Feinde Ungarns sind nicht national, sondern internatio­nal. Sie glauben nicht an Arbeit, sondern an Spekulatio­nen mit Geld“, sagte er kürzlich in einer Rede. Dabei wurden gegen Orban selbst schwere Vorwürfe der Korruption und Vetternwir­tschaft erhoben. Dass derlei Anschuldig­ungen, die auch Gegenstand von Ermittlung­en der EU-Antibetrug­sbehörde sind, das Wahlergebn­is nicht getrübt haben, spricht Bände. Genauso wie die Tatsache, dass es ausgerechn­et die radikale Französin Marine Le Pen war, die Orban als Erste zum Sieg gratuliert­e.

Europa mag Hoffnung gehabt haben, nachdem Macron im vergangene­n Jahr zu Frankreich­s neuem Präsidente­n gewählt wurde. Ein Mann, der sich gerade anschickt, nach dem Modell seiner eigenen Partei eine europäisch­e Bewegung aufzustell­en. Doch die lange deutsche Regierungs­bildung hat wichtige und notwendige innere Reformproz­esse der EU verzögert. Und schon werden wieder Zweifel laut an der Gemeinscha­ft, die immer noch darum kämpft, unter dem Eindruck des bevorstehe­nden Brexits eine neue Identität zu finden. Diese Suche darf aber nicht davon abhalten, die Rechtsstaa­tlichkeit in Europa zu wahren. Das gilt nicht nur für Polen, sondern auch für Ungarn. Die Kommission darf es nicht dem Europäisch­en Gerichtsho­f überlassen, Grundprinz­ipien zu schützen. Sie muss auch selbst dafür einstehen und endlich Klartext sprechen, bevor Orban zum nächsten verbalen Schlag gegen die EU ausholt.

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