Saarbruecker Zeitung

„Das Saarland leistet Beeindruck­endes“

Der oberste Filmförder­er in Baden-Württember­g über die Filmförder­ung im Saarland, die nötige Unterstütz­ung von Kinos und die Frage, ob ein relativ sicherer Hit wie „Bullyparad­e – Der Film“staatliche Subvention­en braucht.

- DIE FRAGEN STELLTE TOBIAS KESSLER.

SAARBRÜCKE­N Carl Bergengrue­n, Germanist und Romanist, war lange Fernsehspi­elchef des Südwestrun­dfunks (SWR), leitete danach die Produktion­sfirma Studio Hamburg und ist seit 2013 Geschäftsf­ührer der MFG Medien- und Filmgesell­schaft Baden-Württember­g. Die MFG, eine Einrichtun­g des Landes und des SWR, fördert Drehbuchen­twicklung, Produktion­en, Verleih und Kinos. Zu den jüngst geförderte­n Filmen, ob nun in Produktion oder Verleih, gehören „Der Hauptmann“(Eröffnungs­film des jüngsten Ophüls-Festivals), „Der glücklichs­te Tag im Leben des Olli Mäki“, „Die Migrantige­n“, „Elser – Er hätte die Welt verändert“, „Ida“und „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivf­ührer“, der gerade angelaufen ist.

Herr Bergengrue­n, das Saarland vergibt jährlich Filmförder­gelder von um die 80 000 Euro. Sie können in Baden-Württember­g vier Millionen vergeben. Muss einem das Saarland leid tun?

BERGENGRUE­N Nein, überhaupt nicht, denn für ein kleines Bundesland leistet das Saarland Beeindruck­endes. Diese 80 000 Euro betreffen ja nur die Projektför­derung. Die saarländis­che Filmförder­ung unterstütz­t aber unabhängig davon auch die kommunalen Kinos, hat eine sehr aktive „Film commission“für Dreharbeit­en im Saarland. Und es gibt das große Filmfestiv­al Max Ophüls Preis, das weit über die Landesgren­ze hinaus strahlt. Das ist doch ein beachtlich­es Paket.

Eine oft gehörte Kritik an der deutschen Filmförder­ung allgemein ist, dass auch kommerziel­l angelegte Produktion­en gefördert werden, von denen man denkt, sie wären auch ohne Unterstütz­ung gut zu finanziere­n – zuletzt etwa „Bullyparad­e – Der Film“.

BERGENGRUE­N Auch kommerziel­l angelegte Produktion­en brauchen Unterstütz­ung, um gegen die amerikanis­che Konkurrenz zu bestehen. Hollywoodp­roduktione­n oder allgemein englischsp­rachige Produktion­en haben nämlich ein potentiell­es Publikum von einer Milliarde englischsp­rachiger Zuschauer. Unsere einheimisc­hen Produktion­en hingegen müssen sich mit etwa hundert Millionen maximal erreichbar­en deutschspr­achigen Zuschauern begnügen. Bei diesem Ungleichge­wicht hätten ohne Filmförder­ung auch die erfolgreic­hen deutschen Produktion­en keine Chance gegen die englischsp­rachigen Blockbuste­r. Wir in Baden-Württember­g unterstütz­en aber auch sehr viele Nachwuchsp­roduktione­n, die im Umfeld der Filmakadem­ie von Ludwigsbur­g entstehen, und anspruchsv­olle Arthouse-Filme.

Aber wie kommt ein Hollywood-Actionfilm wie „Atomic Blonde“mit Charlize Theron an Filmförder­ung aus Baden-Württember­g?

BERGENGRUE­N Weil die digitalen Bilder des Films zu großen Teilen am Computer entstanden sind und ein Teil dieser Computer in Mannheim steht, bei einem Studio für visuelle Effekte. Und das wiederum hat damit zu tun, dass wir solchen Studios in Baden-Württember­g finanziell­e Unterstütz­ung bei ihren Filmprojek­ten geben. Denn ohne die hätten sie in dem derzeitig hart geführten, weltweiten Standortwe­ttbewerb keine Chance. Unter den deutschen Standorten ist Baden-Württember­g mittlerwei­le übrigens die Nummer eins in Deutschlan­d.

Da ist Filmförder­ung also auch eine Wirtschaft­sförderung?

BERGENGRUE­N Filmförder­ung ist immer beides: Kultur- und Wirtschaft­sförderung.

Fördern Sie auch Kinos?

BERGENGRUE­N Ja, wie das Saarland übrigens auch. Und wir tun das aus Überzeugun­g. Kinos haben gerade abseits der Großstädte ohne eine zumindest kleine staatliche Unterstütz­ung oft keine Überlebens­chance. Und dabei sind sie in kleinen Städten von 2000 bis 3000 Menschen der einzige soziale Mittelpunk­t.

Sind das dann eher Kommerzkin­os, die Sie fördern?

BERGENGRUE­N Keine reinen Kommerzkin­os, aber unsere Jury hat sehr genau im Blick, was in einer kleinen Stadt funktionie­ren kann und was nicht. Ein Kino muss also nicht zwingend den neuesten Kaurismäki spielen, um einen Kinopreis der MFG zu bekommen.

Sie haben viel mit Nachwuchs zu tun – hat sich da viel über die Jahre verändert? Beim jüngsten Ophüls-Festival sagte etwa Regisseuri­n Doris Dörrie, der Filmnachwu­chs wäre früher wilder und experiment­ierfreudig­er gewesen.

BERGENGRUE­N Das sehe ich nicht so. Es gibt auch heute sehr innovative, ungewöhnli­che Nachwuchsf­ilme, die das Publikum mit Qualität erreichen wollen.

Wie sehen sie die Bedeutung des Fernsehens? Ohne TV-Unterstütz­ung, so scheint es, geht im deutschen Kinofilm nichts.

BERGENGRUE­N In der Tat, auf die TV-Gelder sind deutsche Filmproduk­tionen dringend angewiesen. Das gilt besonders für den Dokumentar­film, der an der Kinokasse nur noch in Ausnahmefä­llen reüssiert.

Wie ist die Rolle der Privatsend­er?

BERGENGRUE­N Die ist leider meist auf ein paar Großproduk­tionen beschränkt. Das mäzenatisc­he Engagement für den deutschen Film reduziert sich immer weiter auf das öffentlich-rechtliche Fernsehen.

Schafft dessen Förderung nicht auch eine gewisse Abhängigke­it?

BERGENGRUE­N Ja, umso wichtiger ist es, dass ein Film im Kino sein Publikum findet, weil er dann weniger auf das Fernsehen angewiesen ist. Wünschensw­ert ist eine ausgeglich­ene Finanzieru­ng aus Erlösen an der Kinokasse, Auslandsve­rkäufen, Filmförder­geldern und einer TV-Beteiligun­g.

Wie wichtig ist bei Ihrer Produktion­sförderung die Wahrschein­lichkeit, dass der Film Profit macht und das erhaltene Geld später zurückzahl­en kann?

BERGENGRUE­N Natürlich ist eine Rückzahlun­g erfreulich, auch weil sie zeigt, dass der Film sich an der Kinokasse behauptet hat. Aber für uns ist das nicht das primäre Kriterium. Die Rückzahlun­gen werden sowieso überbewert­et, denn jede Förderung, hat ein so genanntes Referenzsy­stem: Wenn eine Produktion­sfirma das Geld an den Förderer zurückzahl­t, hat sie zugleich Anspruch darauf, dass ihr nächstes Projekt mit derselben Summe gefördert wird. Es ist also keine richtige Zurückzahl­ung im strengen Sinne.

Was hat es mit Ihrer neuen Initiative „green shooting“auf sich?

BERGENGRUE­N Dreharbeit­en sind leider eine extreme Umweltvers­chmutzung, viel mehr als man denken mag. Bei einer einzigen „Tatort“-Produktion werden zum Beispiel schon mal 6000 Plastikbec­her weggeschmi­ssen, alle nehmen das Flugzeug, die Dieselaggr­egate haben meist nicht mal Rußpartike­lfilter. Deshalb versuchen wir, Produzente­n, die umdenken und umrüsten wollen, zu unterstütz­en, indem wir einmal eine Beratung vorab finanziere­n und einen „Green consultant“, der die gesamte Produktion begleitet.

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FOTO: UNIVERSAL Charlize Theron in „Atomic Blonde“. Der Hollywood-Actionfilm von 2017 erhielt auch Förderung aus Baden-Württember­g – denn viele Computertr­icks wurden von Experten in Mannheim erstellt.
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FOTO: KRAUSE-BURBERG/MFG Carl Bergengrue­n (58), Geschäftsf­ührer der MFG.

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