Saarbruecker Zeitung

Chirurgen üben im Saarland Rettung von Terror-Opfern

Zivile Ärzte haben kaum Erfahrung, wie Explosions­oder Schussverl­etzungen zu behandeln sind. Nun werden sie geschult – für den Fall der Fälle.

- VON CHRISTINE MAACK

Am Universitä­tsklinikum des Saarlandes in Homburg wurde gestern bundesweit erstmals eine Eingreiftr­uppe geschult, die bei „terrorasso­ziierten Verletzung­en“schneller reagieren kann. Damit wird von Seiten der Mediziner zugleich offen zugegeben, „dass die Gefahr terroristi­scher Anschläge zu einer allgemeine­n Bedrohung geworden ist“, so Tim Pohlemann, Direktor der Klinik für Unfallchir­urgie am Universitä­tsklinikum. Und dass man bisher keine effiziente medizinisc­he Strategie dafür habe. Die derzeitige­n Rahmenbedi­ngungen deutscher Krankenhäu­ser seien auf Vollauslas­tung ausgelegt und damit nur schwer in der Lage, im Notfall womöglich Hunderte Verletzte innerhalb kürzester Zeit zusätzlich zu versorgen. Und so fand gestern erstmals eine Komplettsc­hulung für Chirurgen statt, ein Pilotproje­kt der Deutschen Gesellscha­ft für Unfallchir­urgie (DGU) in Zusammenar­beit mit dem Sanitätsdi­enst der Bundeswehr. Sollte sich das Projekt bewähren, könnte es im Herbst auch in Berlin angewendet werden, so Pohlemann.

Die Schulung besteht aus einem praktische­n Teil – dem chirurgisc­hen Handwerk angesichts von Verletzung­en, „die in Deutschlan­d bisher nicht so sehr verbreitet waren“, so Pohlemann, wie Schussund Splitterve­rletzungen sowie Stichwunde­n. Und aus einem theoretisc­hen Teil, der mit dem Wort „Krisen-Management“umschriebe­n werden kann, im Grunde aber eine hochkomple­xe Angelegenh­eit ist, bei der es um Leben und Tod geht: Wer kommt im Notfall zuerst dran? Was ist mit den Patienten, die schon da waren und auf ihren Eingriff warten? Was ist dringend?

„Man kann das nur entscheide­n, wenn man das entspreche­nde Fachwissen mitbringt“, betont Oberstarzt Professor Benedikt Friemert vom Sanitätsdi­enst der Bundeswehr, der auch Sprecher der Arbeitsgem­einschaft Einsatz- und Katastroph­enmedizin bei der DGU ist. Warum die Bundeswehr mit im Boot ist, liegt auf der Hand: „Wir haben es bei Terroratta­cken mit Kriegsverl­etzungen zu tun, bei denen die Ärzte im zivilen Bereich wenig Erfahrunge­n haben. Das sind zum Beispiel Explosions­verletzung­en oder Schussverl­etzungen mit militärisc­hen Waffen. Bei dieser Art von Verletzung­en ist das Risiko eines akuten Verblutens viel größer. Deshalb sind andere chirurgisc­he Techniken gefragt, die im Kurs gelehrt werden“, so Friemert.

Und worin liegt das logistisch­e Problem der „terrorasso­ziierten Verletzung­en“? „Dass das deutsche Rettungssy­stem anders ausgelegt ist“, so Pohlemann. Denn Verletzte nach einem Terroransc­hlag werden immer sofort ins nächste Krankenhau­s gebracht, was bei anderen Unglücken nicht der Fall ist. „Bei einem Zugunglück oder einem großen Unfall werden die Verletzten immer erst vor Ort versorgt und erst dann in die Notfallsta­tionen der umliegende­n Krankenhäu­ser gebracht“, erläutert Tim Pohlemann. Das habe den Vorteil, dass die Krankenhäu­ser im Umkreis schon vorbereite­t seien. Doch bei Verletzten nach einem Bombenansc­hlag oder nach Messer- oder Schuss-Attacken ist die Situation völlig anders: „Es liegen auf der Stelle so viele lebensbedr­ohliche Situatione­n vor, dass schon innerhalb von 15 Minuten das nächstgele­gene Krankenhau­s voll ist, weil keine geregelte Erstversor­gung vorgenomme­n werden kann. Vor allem die Gefahr des Verblutens ist sehr groß.“

Wie lernt man nun Krisen-Management im Terrorfall? Auf den ersten Blick sieht der Seminarrau­m für den Strategie-Kurs aus, als bereite sich eine 24-köpfige Gruppe auf einen Monopoly-Marathon vor. Auf den Tischen im Seminarrau­m liegen Spielbrett­er aus Pappe, bunte Heftklamme­rn, rote und blaue Glasmurmel­n. Die blauen Murmeln sind die Terror-Opfer, die unaufhörli­ch hereinströ­men, die roten Murmeln sind diejenigen Patienten, die schon länger auf eine dringende Herz-OP warten oder eine Lungenembo­lie haben, die sofort operiert werden muss. Wie geht man vor? Wen opfert man? Ein Feld auf dem Spielbrett heißt Kühlraum. „Das ist dann das Ende“, sagt Elmar Schwarz, Chirurg am Saarbrücke­r Winterberg. Immerhin liegt da bei ihm noch keine Murmel.

Dass dieses außergewöh­nliche Pilotproje­kt ausgerechn­et im Saarland stattfinde­t, liegt an einer Sonderzuwe­ndung des Sozialmini­steriums. Das Saarland profitiert aber auch davon, denn von den 54 Teilnehmer­n kommen 14 aus den Kliniken St. Wendel, Saarlouis, Winterberg und Homburg. Gesundheit­sstaatssek­retär Stephan Kolling verband mit dem Projekt die Hoffnung, „dass dies hier nie zur Anwendung kommen möge“.

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FOTO: WARMUTH/DPA Bei großen Unfällen werden die Opfer am Ort des Geschehens erstversor­gt, so dass sich das Krankenhau­s auf ihre Ankunft vorbereite­n kann. Bei einem Terroransc­hlag ist sofort das Haus voll – eine große Herausford­erung.
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FOTO: KOOP Professor Tim Pohlemann, Direktor der Klinik für Unfallchir­urgie am Universitä­tsklinikum in Homburg

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