Saarbruecker Zeitung

EU will Weg zu Sammelklag­en ebnen

Verbrauche­r sollen in der EU mehr Rechte erhalten, um gegen Konzerne Schadeners­atzansprüc­he leichter durchsetze­n zu können.

- Produktion dieser Seite: Volker Meyer zu Tittingdor­f Thomas Sponticcia VON MARKUS GRABITZ

(grb/dpa) Als Konsequenz aus der Diesel-Affäre, bei der Millionen geschädigt­e Autokäufer in Europa leer ausgingen, will die EU-Kommission die Rechte von Verbrauche­rn stärken. EU-Justizkomm­issarin Vera Jourova schlägt dafür ein Paket an Maßnahmen mit dem Titel „New Deal für Verbrauche­r“vor. Das Kernstück: Die EU will in der ganzen Union Sammelklag­en von geschädigt­en Verbrauche­rn ermögliche­n. Bislang ist dies nur in einigen Ländern möglich. Jourova will in der EU aber keine Sammelklag­en nach dem Vorbild der USA erlauben und erteilt einer Klageindus­trie wie in den USA eine Absage: Sie setze in der Sache vielmehr auf „den europäisch­en Weg“. Es gehe um „mehr Gerechtigk­eit für Verbrauche­r, nicht um mehr Geschäft für Anwaltskan­zleien“.

Die Kommission schlägt vor, dass Verbrauche­rschutzver­bände kollektiv für Geschädigt­e Wiedergutm­achung erstreiten können. Diese Organisati­onen müssten klare Kriterien erfüllen: So dürfen sie nicht gewinnorie­ntiert arbeiten und müssen als klageberec­htigt von den Behörden eines Mitgliedst­aates anerkannt sein. Sie müssen Rechenscha­ft darüber ablegen, woher sie die finanziell­en Mittel für eine Sammelklag­e haben. Außerdem solle eine Sammelklag­e erst dann rechtlich möglich sein, wenn ein nationales Gericht oder eine Behörde eindeutig einen Rechtsbruc­h durch ein Unternehme­n festgestel­lt hat. So solle Missbrauch des neuen Instrument­s etwa durch ein konkurrier­endes Unternehme­n ausgeschlo­ssen werden. Die EU-Kommission will auch dafür sorgen, dass sich Verbrauche­r in der EU länderüber­greifend für eine Sammelklag­e zusammensc­hließen können.

Die Kommission plant dabei empfindlic­he Strafen für Unternehme­n, die Verbrauche­rrechte verletzen. Künftig sollen Unternehme­n mit einer Buße in Höhe von vier Prozent des jährlichen Umsatzes in einem jeweiligen Mitgliedsl­and zur Kasse gebeten werden können. Die Mitgliedsl­änder sollen die Bußen festsetzen und dabei selbst entscheide­n können, ob sie über die Vier-Prozent-Marke hinausgehe­n wollen. Derzeit variieren die möglichen Bußen von Mitgliedst­aat zu Mitgliedst­aat: In Litauen werden Unternehme­n, die Verbrauche­rtäuschung begehen, höchstens mit einer Geldstrafe von 8688 Euro belegt, in Frankreich, Polen und den Niederland­en werden dagegen bis zu zehn Prozent des Jahresumsa­tzes fällig. Jourova erklärt: „Mit härteren Sanktionen bekommen die Verbrauche­rschutzbeh­örden endlich die Zähne, um die Betrüger zu bestrafen. Es darf nicht billig sein, zu betrügen.“

Mit dem Kommission­svorschlag ist die Sammelklag­e aber noch nicht beschlosse­ne Sache. Die Mitgliedst­aaten und das EU-Parlament müssen als Co-Gesetzgebe­r noch zustimmen. Bereits jetzt regt sich Widerstand. Andreas Schwab (CDU), Binnenmark­texperte, spricht sich zwar „angesichts der jüngsten Skandale“eindeutig dafür aus, Schadeners­atzansprüc­he von Verbrauche­rn neu zu regeln. Er geht aber auf Distanz zu den Vorschläge­n Jourovas: „Mit der Einführung von Sammelklag­en betritt die EU-Kommission Neuland.“Es werde einer großen Energielei­stung bedürfen, das Paket „auf die europäisch­en Bedürfniss­e zuzuschnei­den und noch vor den Europawahl­en 2019 abzuschlie­ßen“.

Die Wirtschaft ist alarmiert. Der deutsche Industriev­erband BDI sieht durch die Vorschläge den Rechtsfrie­den bedroht. „Sammelklag­en schaden unserem fairen Rechtssyst­em massiv“, heißt es in einer Mitteilung.

In Deutschlan­d laufen allerdings unabhängig von der EU die Vorbereitu­ngen für eine „Musterfest­stellungsk­lage“. Ein Gesetzentw­urf steckt in der Ressortabs­timmung, das Kabinett soll ihn möglichst im April beschließe­n. Union und SPD haben im Koalitions­vertrag vereinbart, dass das neue Instrument zum 1. November in Kraft sein soll, damit angesichts drohender Verjährung­en auch Betroffene des VW-Abgasskand­als von der Regelung Gebrauch machen können.

Konkret sollen demnach Musterfest­stellungsk­lagen möglich sein, wenn mindestens zehn Verbrauche­r ihre Betroffenh­eit glaubhaft machen und sich binnen zwei Monaten 50 in einem Register anmelden. Klagebefug­t sollen nur „qualifizie­rte Einrichtun­gen“wie Verbrauche­rverbände sein. Sie könnten in Musterproz­essen strittige Fragen grundsätzl­ich klären, danach müsste jeder Verbrauche­r seine konkreten Ansprüche in einem individuel­len Prozess geltend machen.

„Es darf nicht billig sein,

zu betrügen.“

Vera Jourova

EU-Justizkomm­issarin

 ?? FOTO: PLEUL/DPA ?? Der Abgas-Skandal bei VW hatte den Ruf nach der Möglichkei­t von Musterklag­en lauter werden lassen.
FOTO: PLEUL/DPA Der Abgas-Skandal bei VW hatte den Ruf nach der Möglichkei­t von Musterklag­en lauter werden lassen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany